Trauriges Moor

Foerderturm auf dem Betriebsplatz Völkersen, vom Ortsausgang Holtebüttel aus gesehen. Auf dem Acker im Vordergrund Erdsanierungsarbeiten nach havarierter Lagerstättenwasserleitung (März 2013)
Förderturm auf dem Betriebsplatz Völkersen, vom Ortsausgang Holtebüttel aus gesehen. Auf dem Acker im Vordergrund Erdsanierungsarbeiten nach Benzolverseuchung des Bodens aufgrund havarierter LaWa-Leitung (März 2013)
Gestern folgte ich der Einladung der lokalen Bürgerinitiative »No Fracking« ins Erdgasfördergebiet »Rotenburg-Völkersen«. Wir wollten uns abends treffen, also fuhr ich am späten Nachmittag in Hamburg los. Ein trüber Nachmittag, passend zum betrüblichen Reisegrund. Und während in Hamburg der reichlich gefallene Neuschnee der Landschaft wenigstens einen frischen Anstrich gab, lag ab dem Überqueren der Süderelbe fast gar kein Schnee mehr und die Tristesse war vollkommen. Grau in Grau auch meine Stimmung. Theoretisch wusste ich, was mich erwartet. Die schöne Moorlandschaft zwischen Rotenburg und Bremen, viel Zeit habe ich als Kind hier verbracht, in den Sommerferien bei Oma und Opa und bei Verwandten, die hier überall verstreut lebten: Aber seit 1962 wird hier nach Gas gebohrt, inzwischen nicht mehr nur einfach grade tief in die Erde hinein, sondern auch mit kilometerlangen abgelenkten, horizontalen Bohrungen unter den Dörfern hindurch und immer öfter auch mit Fracking, um die versiegenden Quellen zu »stimulieren«, wie es schönfärberisch heißt, und das Gas am Strömen zu halten.

Zwischen Posthausen und Völkersen ein Wagen neben einer Scheune am Straßenrand, darauf eine Tafel so lang wie der Wagen mit einer riesigen roten Hand und »No Fracking!« darauf. Und kurz vor dem Ortseingang von Holtebüttel springt er plötzlich ins Sichtfeld: Der Förderturm auf dem Betriebsfeld Völkersen. Stämmig und monströs hockt er mitten auf dem Kernbereich des größten Erdgasfeldes in dieser Region, unter sich wie die Spinne ihre Beine acht Bohrungen bis in 6000 m Teufe, abgelenkt in alle Richtungen, die das Gas aus dem Tiefengestein holen.

Um zum Ziel meiner Reise zu gelangen, muss ich direkt am Zaun des Betriebsfeldes entlangfahren, auf dem sich die Bohrplätze Völkersen Z1 undZ2 sowie Z7 bis Z10 befinden. Ich nutze die Gelegenheit für ein paar Fotos vom Turm mit verschiedenen Vordergründen, z.B. das Tor von Z9, daran Schilder mit interessanten Inschriften, oder die Kippmulden hinter dem Zaun, rot und gänzlich unbeschriftet und orange mit allseitig angebrachten Warnhinweisen: »Umweltgefährlich« und »Ätzend«.
Vor dem Tor von Völkersen Z9.
Vor dem Tor von Völkersen Z9.
Kippmulden für Gefahrstoffe auf dem Betriebsgelände Völkersen.
Kippmulden für Gefahrstoffe auf dem Betriebsgelände Völkersen.
Vorfahrt gewähren für Sauberes Wasser. Schild am Ortseingang von Schülingen, im Hintergrund der Friedhof vis-à-vis des Betriebsplatzes Völkersen
Vorfahrt gewähren für Sauberes Wasser. Schild am Ortseingang von Schülingen, im Hintergrund der Friedhof vis-à-vis des Betriebsplatzes Völkersen
Das Zischeln und Stöhnen und Klötern, das scheinbar vom Turm kommt, bereitet mir Unbehagen. Der eisige Ostwind tut ein Übriges, dass ich mich an diesem Ort nicht wohlfühle, und ich fahre weiter, vorbei an einem weiteren Rote-Hand-Schild, entere Schülingen und bin auch schon da. Werner Oedding hat sein Büro für das Treffen zur Verfügung gestellt, das er in dem jahrhundertealten Niedersachsenhaus seiner Vorfahren eingerichtet hat. Mächtige Eichenbalken in den Wänden und auch im Raum zeugen von alter Baukunst, die auf Beständigkeit in diesem Moorgebiet ausgelegt war. An der Wand über dem Schreibtisch eine ganz alte Karte hinter Glas, die das Gebiet zeigt, wie es früher ausgesehen hat.

zerbrochene Fensterbank, Risse im Mauerwerk
Welche zerstörerische Kraft hier gewirkt haben mag -- vom Gasbohren sei das bestimmt nicht gekommen, wurde dem Hausbesitzer gesagt.
Die Fensterbank aus Marmor ist zerbrochen, und zwar quer zur natürlichen Wuchsrichtung des Steins; die Wand darunter weist mehrere tiefe Risse auf. Werner Oeddings Haus ist an mehreren Stellen stark beschädigt, seit Mitte des letzten Jahrzehnts Z7 bis Z10 gebohrt wurden und immer wieder nachgebohrt wird. »Nachts hören wir zuweilen, wenn gebohrt wird.«, sagte der Endsiebziger. Auch von mehreren Erdbeben berichtet er und dass er die Gasbohrfirma auf Schadenersatz verklagt habe. Nein, nein, die Schäden am Haus kämen nicht von den Bohrtätigkeiten, wurde ihm beschieden.

Langsam trudeln die anderen ein. Sie kommen aus den umliegenden Dörfern und haben alle dieselben Fragen: Was macht dieses Gasbohren mit unserer Umwelt und mit uns? 2011 war es hier zu mehreren Leckagen jener Leitungen gekommen, die den Abfall des Gasbohrens, vor allem das giftige Lagerstättenwasser transportieren. Diese Leitungen, von denen viele Kilometer die Region durchziehen, waren aus Polyethylen, einem Material, von dem bekannt ist, dass es nicht diffusionsdicht ist z.B. für das krebserregende Benzol. Benzol wurde 2011 auf den Äckern gemessen, wie lange vorher es schon da war, weiß kein Mensch. Jetzt klingt es so, als habe die Betreiberin RWE DEA das Problem vollständig erkannt und im Griff.
Die Nachbarin, deren Ackerfläche auch betroffen ist, berichtet von auffallend vermehrten Krebsfällen in der Umgebung in den letzten Jahren. Darmkrebs, Hodenkrebs, Hirntumoren und immer wieder Brustkrebs. Viele sind schon tot. Sie schüttelt den Kopf. Sie ist resigniert. Nach Jahren des Kampfes um Entschädigung für Schäden an ihrem Haus und Hof ist sie müde geworden. Risse in den Wänden, herausgesprungene Scheiben, seltsame Flüssigkeiten, die durch den Boden drücken und die historischen Fliesen nachgerade wegätzen -- mit all diesen Befunden ist sie von Pontius zu Pilatus gelaufen und wurde jedes Mal abgewiesen: Vom Gasbohren kann das nicht kommen.

Zwei Teilnehmer der abendlichen Runde, Landwirte aus Wittorf bei Visselhövede, berichten von ihren bemerkenswerten Erlebnissen: Anfang Februar trafen sie sich im Krankenhaus. Und dazu noch einen dritten Nachbarn aus dem Ort. Alle drei leben im Umkreis der Versenkbohrung Grapenmühlen und alle drei waren am selben Tag in den frühen Morgenstunden von akuter Atemnot wach geworden. Im Krankenhaus wurde bei allen dreien ein hochgradiger Sauerstoffmangel im Blut festgestellt. Die beiden haben keine Erklärung und wundern sich über diesen »Zufall«. Kurioserweise hatten sich eben diese drei Wittorfer Ende 2011 schon einmal auf dieselbe Weise und mit denselben Symptomen im Krankenhaus getroffen. »Ich verstehe das nicht. Ich war nicht erkältet und zwei Wochen zuvor bin ich noch auf den Brocken hochgelaufen.«, sagt der eine und der andere: »Auch ich war kerngesund. Wir hatten kurz vorher einen Tanzwettbewerb. Die anderen waren schon alle aus der Puste und ich konnte immer noch.«
Die beiden erinnern, sich tags zuvor viel im Freien aufgehalten zu haben. Und ihnen fällt ein, dass noch einige weitere Nachbarn in jenen ersten Februartagen über Atemnot zu klagen hatten. Soviel Zufall ist schwer vorstellbar. Nun wollen die beiden einmal ihre behandelnden Ärzte um Rat und Hilfe bitten.

Später ist noch die Rede von den Gasbohrunternehmen als den »guten Nachbarn«, als die sie sich selbst gern darstellen. Von großzügigen Entschädigungen an all die, die den Konzernen beispielsweise ihr Land zur Verfügung stellen. Von Spenden für Schulen, Kindergärten, an Vereine und die Feuerwehr. Das mache die DEA nicht anders als z.B. ExxonMobil, die bekanntlich eben erst wieder beteuert haben, dass ihre Spendenpraxis nichts mit Bestechung zu tun habe. Die resignierte Nachbarin lacht da nur trocken: »Ja, die einen bekommen was, die anderen gehen leer aus. Und die was bekommen, reden mit uns Kritikern nicht mehr.« So schaffen es die angeblich guten Nachbarn, gezielt einen Keil in die Dorfgemeinschaft zu treiben und diese im Ganzen zu schwächen. Alter Trick seit Macchiavelli. Der Schaden ist schon längst angerichtet, lange bevor Abwasserleitungen lecken oder Bohrplätze havarieren.

Einigermaßen betrübt verlasse ich die wackeren Kämpfer und mache mich auf den Nachhauseweg. Als ich am Schülinger Friedhof vorbei aus dem Wäldchen fahre, erschlägt mich fast der helle Schein des Betriebsgeländes. Der Turm strahlt wie der Weihnachtsbaum auf der Alster, das ganze Gelände ist illumniert, wahrscheinlich brauchen sie im nur 330 Meter entfernten Dahlbrück nachts keine extra Straßenbeleuchtung.

Betriebsgelände Völkersen bei Nacht.
Betriebsgelände Völkersen bei Nacht.


Wo man hinsieht: Überall werden die Wohnorte von Menschen gefährdet, wenn der Großindustrie danach ist. Sei es für Airbus-Ausgleichsmaßnahmen, sei es für dreckiges Fracking, sei es in der Lausitz, wo Vattenfall für den Braunkohletagebau aktuell mindestens acht Dörfer schleifen will...
Ich sehe zu, dass ich weg komme aus diesem traurigen Moor. Auf dem Highway angekommen drehe ich die Anlage auf und lasse mir die Bässe von Muse's »Unsustainable« auf die Ohren ballern, dass es schon fast weh tut: »An economy based on endless growth is -- unsustainable«.

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Kommentare

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chef79 am :

Also als ich vor einer Woche und auch schon vor mehr als zwei Monaten vor Ort war, war ein "Zischeln und Stöhnen und Klötern" nicht zu vernehmen, obwohl die Anlage (kein Förder- sondern ein Bohrturm) munter vor sich her bohrte. Aber nicht in Form von "kilometerlangen abgelenkten, horizontalen Bohrungen", denn die gibt es dort nicht. Ablenkung ist nicht mit Horizontal gleichzusetzen, auch wenn das simplifizierenden Bürgerinitiativlerinnen kaum beizubringen ist. Intensiver gebohrt und vor allem gefördert wird dort auch nicht seit 1962 sondern 1992 (Fundbohrung "Völkersen Z1"). Weiter ist die Lagerstätte auch nicht die größte der Region, denn das ist Rotenburg-Taaken wenige Kilometer nördlich davon gelegen.

Und abschließend: Wurde die Fahrt in einem kohlenwasserstoffneutralen Gefährt zurückgelegt? Nicht?

Insgesamt doch nur ein Schauermärchen denn ein ernstzunehmender Bericht.

Mal sehen, ob diese Literaturkritik die Prüfung besteht und Gegenöffentlichkeit, sprich stets eingeforderte Transparenz toleriert bzw. ermöglicht wird.
Bilder von deutschen Öl- und Gasfeldern hier: http://www.panoramio.com/user/6481169

Carin am :

Ihre Einlassung ist mal wieder eine mehr als schlecht informierte, Herr Istvan Adler! Würden Sie hier mit Ihren peinlichen Behauptungen nicht erneut eine Vorlage liefern, um mehr zu erzählen und die Öffentlichkeit darüber zu informieren, was tatsächlich passiert, dann hätte ich Ihren Kommentar mal wieder gelöscht und Ihren neuen Account mal wieder gesperrt.

Empfehle, Ihren Wissensstand bzgl. Horizontalbohrungen im Erdgasfeld Völkersen auf Stand zu bringen. Am besten, Sie fragen direkt bei der RWE Dea nach. Die Herrschaften beim LBEG sind auch befragbar und zudem als sehr kundenfreundlich und auskunftsfreudig bekannt. Um nicht peinlich uninformiert zu erscheinen, befragen Sie jedoch zunächst das WWW. Nur ein Beispiel:

http://www.rwe.com/web/cms/de/37110/rwe/presse-news/pressemitteilungen/pressemitteilungen/?pmid=3576804

"„RWE Dea will mit der Explorationsbohrung Völkersen Z-7 neue Gasreserven erschließen: Zu diesem Zweck wird die Bohrung zunächst zu dem nordwestlich des Bohrpunktes gelegenen Lagerstättenteil vorangetrieben, um dann den potenziell gasführenden Dethlingen-Sandstein horizontal zu durchbohren“, erläutert RWE Dea-Projektleiter Ralf Kitscha."
Dies ist dann nach meiner Information auch so passiert. In Völkersen wird seit mind. 1994 horizontal gebohrt. Seit Anfang des Jahrtausends wurde dort auch gefrackt; bis dato nach Angaben des LBEG 17 mal.

Eine eigene, simple Internetrecherche kann Sie signifikant voranbringen, Herr Adler! Zum Beispiel die Antwort des damals zuständigen Wirtschaftsministers Jörg Bode auf die mündliche Anfrage der Abgeordneten Elke Twesten (GRÜNE) am 10. Mai 2012:
"In Niedersachsen wird seit über 60 Jahren Erdgas gefördert. Eine der größten und derzeit produktivsten Förderregionen befindet sich im Raum Verden/Rotenburg mit den Feldern Völkersen (RWE-Dea AG), Rotenburg/Taaken (ExxonMobil Production Deutschland GmbH (EMPG) und RWE-Dea AG), Söhlingen (EMPG), Soltau/Friedrichseck (EMPG) und Walsrode (EMPG). Die Gasproduktion in diesen Feldern begann in den 1980er Jahren und erhielt durch die Einführung der Horizontalbohrtechnik und der Durchführung von hydraulischen Bohrlochbehandlungen (Frac) in den 1990er Jahren weitere Impulse.*
Quelle: http://www.mw.niedersachsen.de/portal/live.php?navigation_id=5459&article_id=105766&_psmand=18

Ganz brandneu dürfte für Sie der aktuelle Plan der RWE Dea sein, etwa im Südwesten dieses Feldes eine weitere Bohrung abzuteufen, die horizontal etwa in Richtung Nordosten abgelenkt werden soll. Da der ideale Standort der Bohrung im Überschwemmungsgebiet der Weser liegt (Daverden), hat die RWE Dea nun einen Standort linksseitig der Weser (Blender/Inschede) beantragt, um dann unter dem Fluss hindurch zu bohren.

Herr Adler, lassen Sie es nun gut sein und hören Sie endlich auf, auf vierlaender.de Ihre Halb- und Unwahrheiten verbreiten zu wollen. Sie haben doch einen eigenen Blog, wo Sie Ihre Bauernfängerei betreiben und Ihr zwei Leser bespaßen können.

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