Integration in Deutschland: Gesamtnote »Gut«

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Alle zusammen an einem Tisch. (Foto: brinerustle/Wikimedia)
6. Juni 2012 – Zum zweiten Mal gab das Körber-Forum im Rahmen der Veranstaltungsreihe »Wir sind Deutschland«die Diskussionsplattform für aktuelle Integrationsthemen. Rund 180 Menschen mit und ohne Migrationshintergrund hatten den Weg an die Kehrwiederspitze gefunden, um ein kleines, multikulturelles Konzert zu hören und anschließend die aktuellen Ergebnisse des »Integrationsbarometers« zu erfahren.

Zunächst stimmte »Gospel Train«, der Chor der Harburger Gesamtschule, mit einem hinreißenden, stimmgewaltigen Mini-Konzert auf das integrative Thema ein. 100 Mitglieder hat der Chor und fast so zahlreich sind auch die Herkunftsländer der Jugendlichen bzw. ihrer Eltern. Vielfach mit Preisen ausgezeichnet, u.a. dem »Harburger Integrationspreis«, zählt der Chor zahlreiche preisgekrönte Solisten zu seinen Mitgliedern. Chorleiter Peter Schuldt hat mit »Gospel Train« ein Integrationsprojekt vor Ort entwickelt, ein Leuchtturmprojekt für Hamburg, wie Karin Haist es mit größtem Respekt anerkannte.

Nach dieser beeindruckenden Erfahrung kultureller Vielfalt in der Einwanderungsstadt Hamburg führte Dr. Gunilla Fincke, Geschäftsführerin des »Sachverständigenrats Deutscher Stiftungen für Integration und Migration GmbH (SVR)«, ins Thema ein. Sie konfrontierte das Publikum mit zwei Fragen, wie sie auch in den Interviews zum Integrationsbarometer gestellt wurden: »Was würden Sie sagen, wie funktioniert das Zusammenleben von Deutschen und Zuwanderern an ihrem Wohnort im Vergleich zu anderen Orten in Deutschland?« und »Welche Politiker kümmern sich am meisten um Integration: Die am Wohnort, die im Land oder die Bundesregierung?« 50 % des anwesenden Publikums empfanden die Integration vor Ort als gleichwertig mit dem Bundesdurchschnitt und über 80 % bescheinigten den Ortspolitikern die Hauptrolle als »Kümmerer« – interessanterweise vom Integrationsbarometer deutlich abweichende Meinungen.

Darin werden nämlich der Integration vor Ort und dem Engagement von Landes- und Bundespolitikern bessere Noten gegeben, wie die Professores Klaus J. Bade und Ludger Pries In ihren anschließenden Referaten »zur Lage der Integration« darlegten. Sie berichteten über das aktuelle Integrationsklima in Deutschland und das zu Grunde liegende Zahlenwerk des Integrationsbarometers und diskutierten anschließend unter Finckes Moderation mit dem Integrationsbeauftragten von Stuttgart, Gari Pavcovic, und dem Publikum.

Bade, Migrationsforscher, Publizist und Politikberater, Begründer des Osnabrücker Instituts für Migrationsforschung und interkulturelle Studien (IMIS) sowie Begründer und Vorsitzender des SVR präsentierte den Jahresbericht. Zwei Hauptbotschaften teilte er mit: 1. Die Integration kommt weiterhin gut voran. Sowohl im föderalen System, dort allerdings noch etwas knirschend, als auch in der Einwanderungsgesellschaft insgesamt, in der sich der positive Trend der vergangenen Jahre fortsetzt. 2. habe sich in dem Drei-Ebenen-System von Bund, Ländern und Kommunen eine intensive Integrationsdynamik entwickelt, allerdings auch ein Neben- und ein Gegeneinander. Letzteres könne den verfassunggemäßen, föderalen Auftrag der Sicherung möglichst chancengleicher Teilhabe im Lande in Frage stellen, sodass hier noch deutlicher Verbesserungsbedarf bestünde.

Pries, Professor für Soziologie am Lehrstuhl Soziologie/Organisation, Migration, Mitbestimmung an der Ruhr-Universität Bochum, untermauerte Bades Aussagen mit der Darstellung der grafisch aufgereiteten Umfrageergebnisse aus dem »Integrationsbarometer 2012« des SVR. Mit dem Integrationsbarometer hat der SVR ein Instrument geschaffen, »mit dem wir die Meinungen, Beurteilungen, Empfindungen und Vorschläge von denjenigen messen können, die in Deutschland Integration miterleben«, und zwar an Hand einer Stichprobe von knapp 10.000 Befragten in mehreren Großregionen in West- und erstmalig 2011 auch in Ostdeutschland.

Die gelegentlich sichtbaren ausländerfeindlichen, auch anti-islamistischen Strömungen hält Bade für »Oberflächenphänomene«, Echo-Effekte auf entsprechende Agitation; sie seien nicht Ergebnis der konkreten Erfahrungen im kommunalen Alltag. In der bestehenden Einwanderungsgesellschaft sei vielmehr eine wachsende Akzeptanz von Vielfalt und Wandel zu beobachten, was die Soziologen »verhaltener Integrationsoptimismus« und »kritischer Integrationspragmatismus« nennen.

Bade fordert eine zentrale Integrationsagentur, deren Aufgabe vor allem vertikale und horizontale Vernetzung sein müsse, um eine pragmatischere Koordination der Bemühungen auf den verschiedenen Ebenen von Bund, Ländern und vor Ort zu erreichen.

Im Kontext der vorschulischen Erziehung von Kindern mit Migrationshintergrund und damit auch von Kindern aus sozial benachteiligten Familien ohne Migrationshintergrund ist die Förderung ging Bade mit dem gerade beschlossenen Betreuungsgeld hart ins Gericht. Dieses würde bedeuten, dass Kinder, die ohnehin benachteiligt sind, effektiv von der Chance auf bessere Bildung ferngehalten würden, da sie im Elternhaus kaum angemessen Förderung bekämen. Integrationspolitisch sei dies »ein kompromissgestützter Schuss in den Ofen. Die Vorstellung, die Hartz IV-Leute gleich draußen zu lassen, damit sie gar nicht erst in den Vorteil des Missbrauchs kommen sollen, ist noch der Böller in diesem rußgeschwärzten Ofen. Das ist parteipolitische Kompromisspolitik, die sich an der gesellschaftspolitischen Verantwortung versündigt.«, gab Bade seine persönliche Meinung preis und erntete dafür heftigen Applaus.

Auch prangerte Bade an, dass der Bund das Thema Integration lange verschlafen habe. Die realitätsnahe, konzeptorientierte Gestaltung von Integrationsfragen sei somit lange blockiert und der Aufbau eine zentralen Integrationspolitik verhindert worden. Die Kommunen als Träger der pragmatischen Integrationspolitik vor Ort seien nur allzu oft mit ihren Aufgaben allein gelassen, wie Bade an Hand der mangelnden Integration von Roma aus den EU-Ländern Rumänien und Bulgarien exemplarisch zeigte. Eine bessere Ausstattung der Kommunen sei dringend erforderlich.

Insgesamt, so führte Bade fort, sei in Sachen Integrationspolitik zweierlei nötig: 1. eine bessere vertikale und horizontale Vernetzung im 3-Ebenen-System für ein produktiveres Miteinander, 2. eine kohärente und konzeptorientierte, transparente Integrationspolitik. Die Zeit dafür sei günstig, so Bade, denn wie das Integrationsbarometer zeige, hat sich ein kritischer Integrationspragmatismus in der Bürger durchgesetzt. Und der könne der Politik durchaus den Weg weisen, denn die Bürger haben keine Angst vor Integration, sondern sie haben Wut darüber, dass sie keine klaren Konzepte in der Politik erkennen können. Schließlich zeige das Integrationsbarometer, dass sich die Bürger von aufgeregten Integrationsdiskussionen nicht nachhaltig beirren ließen, vielmehr dominiere auf beiden Seiten der Integrationsgesellschaft verhaltener Integrationsoptimismus

Anschließend präsentierte der Soziologieprofessor Dr. Pries von der Ruhr-Universität Bochum die Ergebnisse der großen Befragung des Integrationsbarometers 2011, für die fast 10.000 Menschen in Deutschland, Zuwanderer und Deutsche ohne Migrationshintergrund interviewt worden sind. Die Zahlen, Statistiken und Diagramme, die er präsentierte, untermauerten die Aussagen seines Vorredners.
Instrument
So wird die Bewertung der Integrationspolitik und die gemachten Erfahrungen mit ihr erhoben. Das Hauptergebnis der Befragung im Jahr 2011 gibt Entwarnung, wie Pries sagte, denn es lautet: »Eigentlich bleibt das Integrationsklima in Deutschland stabil, relativ positiv.« Summarisch erhält das deutsche Integrationsklima die Note »2 minus« und ist damit bei weitem nicht so schlecht wie es die Medien im Allgemeinen glauben machen wollen. Das Interesse an Integration ist ungebrochen sehr hoch, sowohl bei Deutschen als auch bei Zuwanderern, das zeigt das Barometer im Gegensatz zu den medial verbreiteten, häufig negativen Meinungen sehr deutlich.

In Sachen politischer Partizipation lautet das interessante Ergebnis des Barometers, dass ein gutes Viertel der Menschen mit Migrationshintergrund und ein Drittel der Menschen ohne Migrationshintergrund erheblichen Verbesserungsbedarf sehen. Dass solche Erkenntnisse manchmal aber auch erst an die Menschen herangetragen werden müssen, ist die Erfahrung des Integrationsbeauftragten Pavcovic. Er hatte zu Beginn seiner Amtszeit 2001 voller Elan eine große Podiumsdiskussion geplant zum Thema »Wählen für Einwanderer« durchführen wollen, aber fast keiner kam. Es fehlte das Kommunikationsnetz, quasi die Integration des Integrationsbeauftragten in die diversen Migrantenvereine. Viel Aktionismus, wenig Koordination zwischen Bund, Land und Kommune sei bis heute ein Hemmschuh, meinte Pavkovic. Die Vernetzung auch auf kommunaler Ebene, zentrale Anlaufstellen für neue Zuwanderer, bessere Koordination beispielsweise verschiedener Anbieter für Sprachkurse, eine Verzahnung der Maßnahmen in Kommune, Land und Bund – all das sind aus der pragmatischen Sicht vor Ort zwingende Voraussetzungen für eine besser funktionierende Integration.

Abschließend zeigten alle drei Experten einhellig den selben Optimismus: Kommunen werden 2020 im Integrationsbereich wesentlich vernetzter sein, ihre Erfahrungen mit anderen Kommunen austauschen in einer Struktur von Bund, Land und Gemeinde und vielleicht die Worte Migrationshintergrund und Integration hinter sich lassen und stattdessen von einer interkulturellen Gesellschaft der Zukunft sprechen.

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