Energiewende in Hamburg: SPD-Abgeordneter informiert sich vor Ort

Andreas Dressel, Gerd Kekstadt, KZ-Gedenkstätte Neuengamme
SPD-Bürgerschaftsfraktionsvorsitzender Andreas Dressel (3. v. l.) während der Begrüßung durch Wolfgang Stiller (3.v.r.)
Am heutigen Freitag machte der Vorsitzende der SPD-Bürgerschaftsfraktion, Andreas Dressel, auf seiner Sommertour Station im Bezirk Bergedorf. Am Vormittag stand die Windkraft auf seinem Programm, dazu fand er sich mit seiner Entourage in der KZ-Gedenkstätte Neuengamme ein. Deren Aussehen bzw. Aussicht ist vom geplanten Repowering mitbetroffen und so bot sich diese Stätte zur Information vor Ort an. Dressel, seine Fraktionskollegen in der Bürgerschaft wie Gert Kekstadt und Ali Simsek sowie SPD-Bezirksabgeordnete wie Paul Kleszcz, Heinz Jarchow und Peter Gabriel trafen hier mit Vertreterinnen und Vertretern der »Amicale Internationale de Neuengamme«, des »Freundeskreis der KZ-Gedenkstätte« und der drei Windkraft-Bürgerinitiativen zusammen, die dem Abgeordneten ihre jeweilige Sicht auf das geplante Repowering nahebrachten. Ebenfalls dabei war Jens Heidorn von der Betreiberfirma des Windparks Neuengamme.

Dressel, der aus Volksdorf stammt, sagte, er kenne die Vier- und Marschlande und insbesondere die problematische Situation des Repowering nicht detailliert. Er wolle bei seinem Besuch Fragen aufnehmen und diese nach Hamburg tragen. »Die Realität vor Ort stellt sich oft anders dar als im Rathaus«, sagte er und stellte in Aussicht, bei der BSU insbesondere die derzeitige Eignungsflächenausweisung kritisch zu hinterfragen und herausfinden, warum die Vier- und Marschlande die Hauptlast des Windkraftausbaus tragen sollen. Die Energiewende sei eine gesamtgesellschaftliche Schuldigkeit, für die alle etwas tun müssten.

Pünktlich um Zehn begrüßte Wolfgang Stiller, der stellvertretende Leiter der KZ-Gedenkstätte Neuengamme, die Anwesenden. Mit Blick gen Osten auf die Windräder, die sich dort im kräftigen Westwind drehten, erläuterten er und Ulrike Jensen, Vorsitzende der »Amicale«, wie die Gedenkstätte an der Planung des Repowering im Windpark Neuengamme mitgewirkt hat. Ursprünglich hätten neue, höhere Windräder an den jetzigen nördlichen Standorten errichtet werden sollen. Diese hätten das Gelände der Gedenkstätte jedoch derart dominiert, dass zusammen mit der Kulturbehörde und den Planern vereinbart worden sei, die Fläche, auf der die sechs neuen Anlagen aufgestellt werden sollen, möglichst weit nach Süden in Richtung Kiebitzdeich zu verschieben. »Dieses Areal war einst auf sehr unselige Weise dominiert. Jetzt ist es Stätte des Gedenkens und die Überlebenden möchten nicht, dass dieses Areal noch einmal dominiert wird, von was auch immer. Die neuen Windräder sollen für die Gedenkstätte nicht höher, nicht näher und auch nicht lauter werden.«, sagte Jensen.

Ein Anwohner von der Langen Grove (Splittersiedlung am Neuengammer Hauptdeich gegenüber der Gedenkstätte) gab zu bedenken, dass nach den neuen Plänen sein Haus in nur 350 Metern Distanz vom ersten Windrad stehen würde. Jens Heidorn von der Betreiberfirma NET OHG stellte klar, dass der Abstand 500 Meter betrüge und zeigte den entsprechenden Plan herum. Heidorn führte aus, dass statt der jetzt 10 Windräder nach dem Repowering 6 Windräder im Windpark Neuengamme stehen würden. Die beiden nördlichen Anlagen hätten Bestandsschutz bis 2025 und sollten möglichst solange auch weiter laufen, dann würden sie ersatzlos zurückgebaut.

Karsten Paulssen, Sprecher der BI-W-O, berichtete, dass er in seinen vielen Gesprächen auch mit Staatsrat Dr. Lange bislang »kein vernünftiges Argument für die Flächenausweitung des Windparks Ochsenwerder« gehört habe, das er zu den Menschen bei sich vor Ort mit nach Hause hätte nehmen können. Er beklagte die geringen Abstände zur Wohnbebauung und trug die Forderungen der BI-W-O vor: Abstände belassen, wie sie jetzt sind, und die bestehenden Windräder »ertragsoptimiert« repowern, also leistungsfähigere Generatoren auf die stehenden Masten aufzusetzen. Es könne nicht angehen, dass der Ausbau der Windenergiegewinnung in Ochsenwerder auf Kosten der dort lebenden Bevölkerung vorangetrieben werde, sagte Paulssen und stellte generell in Frage, ob die Energiewende in der Form überhaupt nötig sei. In Fukushima seien schließlich auch nur durch den Tsunami Menschen gestorben, deutete er seine klaren Zweifel an der Sinnhaftigkeit des Atomausstiegs an.

Helfried Schulke vom Horster Damm, Anwohner des Windparks Altengamme und Sprecher der BI-W-Ag (»Bürgerinitiative Windkraft Altengamme«), gab vor, für 300 Bürger zu sprechen und berichtete als erstes von einer Nachbarin, die sich wegen Infraschallbedingten Gesundheitsschäden arbeitsunfähig habe schreiben lassen müssen. Anders als die BI-W-O stelle die BI-W-Ag härtere Forderungen, sagte Schulke, nämlich 1000 Meter Abstand zur Wohnbebauung und maximal 100 Meter Gesamthöhe der neuen Anlagen, damit keine Höhenbefeuerung nötig werde. Schulke schlug eine Volksbefragung vor, um endlich einmal klar den Willen der Bevölkerung zu kennen in dieser Sache, in der bisher nur Politiker das Sagen gehabt hätten.

Klaus Brandt vertrat die dritte Bürgerinitiative, die am Kiebitzdeich und sprach nach eigener Aussage für 500 Bürger. Er sagte, auch er würde nach den aktuellen Plänen dann 350 Meter von einem Windrad entfernt wohnen, und übergab Dressel zwei DIN A4-Bögen mit den Forderungen seiner BI mit den Worten: »Wir tolerieren die Anlagen, wie sie jetzt sind, aber mehr nicht.«

Nach einer weiteren halben Stunde Diskussion über Abstände, Kulturlandschaftsverträglichkeit, Gesundheitsgefährdung ergriff Dressel wieder das Wort. Er dankte für die umfangreichen Information und sagte, vieles davon habe er noch nicht gewusst. Er wolle alle Fragen mitnehmen und in Erfahrung bringen, ob es nicht doch auch anderswo in Hamburg (außer in den Vier- und Marschlanden, Francop und im Hafen) weitere mögliche Standorte für Windkraftanlagen gäbe. Er gab jedoch auch klar zu verstehen, dass es im Grundsatz keine Umkehr gebe. Die Energiewende sei notwendig und es sei auch zügiges Arbeiten nötig, wenn bis Ende des Jahrzehnts alle Atomkraftwerke abgeschaltet sein sollen. Es sei selbstverständlich, dass jeder einen Anteil tragen müsse, und das seien beileibe nicht nur die Anwohner von Windparks, sondern z.B. auch die Anwohner von Stromtrassen.

Wenn es eine Volksbefragung geben solle, dann müsse alles abgefragt werden, sagte Dressel, auch die Betroffenen von Atomkraftwerken (also alle Bürger), von Stromtrassen, von Pumpspeicherbecken etc. müssten dann zu Wort kommen. »Die Erneuerbaren sind die logische Konsequenz des Atomausstiegs.«, bekräftigte Dressel, da gebe es kein Vertun. Er wolle aber Umweltsenatorin Jutta Blankau befragen, ob nicht auch andere Stellflächen für Windräder in Hamburg möglich seien, z.B. in Sülldorf oder in den Walddörfern. Die Diskussion müsse aber fair bleiben und der schwarze Peter nicht hin- und hergeschoben werden.

Abschließend fasste Kekstadt zusammen, dass die SPD also die jetzt ausgewiesenen Eignungsflächen kritisch hinterfragen wolle, machte aber gleichzeitig klar, dass der Zeitplan nicht in die Länge gezogen werden dürfe. Er stellte fest, dass die Landbevölkerung mit den jetzigen Anlagenhöhen leben könne und dass gesundheitliche Aspekte noch näher beleuchtet werden müssen. Außerdem kündigte er an, dass die SPD in Kürze eine Veranstaltung mit den Bürgern durchführen werde, in der dann auch die Betreiber mit Sachinformationen beitragen könnten.

Jens Heidorn, der die ganzen anderthalb Stunden über nicht mehr zu Wort gekommen war, hatte am Ende der Veranstaltung fünf Minuten Zeit, einige der gemachten Aussagen zu kommentieren. Zu den Anfechtungen der Eignungsflächen riss er kurz das Stichwort »Verhinderungsplanung« [PDF] an. Zu der Frage der Energieoptimierung durch modernere Generatoren auf bestehenden Masten lautete seine Aussage: »Technisch nicht machbar«, weil dann die Typenprüfung der Anlage erlischt und so etwas aus Gründen der Statik und Sicherheit auch gar nicht möglich sei. Neue 100-Meter-Anlagen seien in den Vier- und Marschlanden schlicht unwirtschaftlich und wären ein reines Verlustgeschäft. Eine entsprechende gutachterliche Wirtschaftlichkeitsberechnung könne seine Firma oder auch jedes andere einschlägige Ingenieurbüro sicher liefern, entgegnete Heidorn einen Zwischenruf von Schulke.
Heidorn skizziert noch kurz die Ab- und Aufbaupläne in Neuengamme. Nach dem derzeitigen Stand der Planungen könnte 2014/2015 mit dem Abbau der ersten alten und Neubau der ersten neuen Anlagen begonnen werden.

Andreas Dressel musste weiter, in Bergedorf stand am frühen Nachmittag das Thema Museum auf dem Plan. Er dankte allen noch einmal und stellte eine allgemeine Verunsicherung, ja, auch Misstrauen in der Landbevölkerung fest. Er avisierte wie schon zuvor sein Kollege Kekstadt eine gemeinsame Veranstaltung, vielleicht ein Streitgespräch, möglichst auch Folgeveranstaltungen, um die Bürger wirklich an der Hamburger Energiewende zu beteiligen.

Kühe auf Weide, Marschland, Hochspannungsleitungen, Windräder
Blick von Reitbrook Richtung Südsüdwest über die Marschlande bis zu den Harburger Bergen.

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Kommentare

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Heiner Gronau am :

Zum Artikel Energiewende in H..-20.7.12 möchte ich Folgendes anmerken:
1.Im Windpark Neuengamme stehen 12 Windräder.
2.Karsten Paulsen stellte dar, dass die Katastrophe in Fukushima durch den Tsunami ausgelöst wurde.(Diese Aussage als Zweifel am Atomausstieg zu werten, ist doch wohl eine böswillige Unterstellung.)
3.BI-W-Ag fordert 1500m Abstand zur Wohnbebauung und zwar gemeinsam mit den anderen Initiativen.
4. Herr Heidorn war zu dieser Veranstaltung nicht eingeladen und hatte deswegen auch keine Redezeit zugesprochen bekommen.(Der Text suggeriert leider etwas anderes.)
Außerdem möchte ich noch anmerken:
Wenn Moorburg 2014 ans Netz geht, deckt es fast den gesamten Strombedarf von Hamburg. Die 26 MW-Anlagen dienen dann nur noch dem Stromverkauf an andere europäische Länder, wie es von Deutschland aus jetzt schon gehandhabt wird.
Wenn wirklich die 2 MW-Anlagen südlich Marschbahndamm in Neuengamme 500m entfernt von den Häusern am Hauptdeich stehen sollen, dann werden sie direkt am Marschbahndamm gebaut. Wegen Eiswurf sollten sie 300m von Häusern + Straßen stehen. Muss dann der Marschbahndamm dort für die Durchfahrt gesperrt werden? Wegen der guten Kontakte zu den NET-Betreuern möchte ich gern im Vierlaender darüber etwas lesen.
Mit Gruß - Heiner Gronau

Carin Schomann am :

Werter Heiner Gronau,

vielen Dank für den Kommentar. Folgendes dazu:

1. Stimmt. Im Windpark Neuengamme stehen derzeit 12 Windräder. 10 davon sollen durch 6 neue Windräder »repowert« werden, 2 davon bleiben längstens stehen, bis 2025 ihre Betriebserlaubnis erlischt.

2. Es ist mittlerweile erwiesen, das »Klüngel, Versäumnisse und Fehler und nicht die Natur durch Erdbeben und Tsunami die Atomkatastrophe im AKW Fukushima 1verursacht« haben.
Quelle: http://www.handelsblatt.com/politik/international/bericht-zum-atomunfall-fukushima-war-menschliches-versagen/6836262.html

3. Danke für diese Klarstellung. Schnell gesprochene Worte führen manchmal zu Missverständnissen. Gut wäre, bei Gelegenheit wie am letzten Freitag der Presse die Informationen schriftlich zu geben.

4. Der Termin war öffentlich in der Zeitung angekündigt worden. Es hat nichts darauf hingedeutet, dass nur Bürgerinitiativen und Politiker »Redezeiten« hatten.

Ihre Aussage in Sachen Moorburg und überschüssiger Stromproduktion durch Windkraftanlagen kann ich so nicht überprüfen (leider geben Sie keine Quelle an). Sie wissen aber schon, dass der Strombedarf Hamburgs in den kommenden Jahren weiter wachsen wird, z.B. durch Ansiedlung weiterer Großindustrie, unter anderem chemischer Industrie, die bekanntlich einen extrem hohen Energiebedarf hat.
Quelle: http://www.see-hafen-kongress.de/gute-entwicklungsperspektiven-f%C3%BCr-hamburg-und-die-k%C3%BCstenregion-%E2%80%93-ein-thema-auf-dem-4-see-hafen-kon-0

Eiswurf: Soweit ich informiert bin, werden Anlagen bei Eisbildung an den Rotorblättern angehalten. Eiswurf ist so nicht möglich. Die jetzigen Windräder stehen teilweise weniger als 50 Meter vom Bahndamm entfernt. Der Bahndamm ist nicht für den Durchgangsverkehr gesperrt.

Noch ein Wort zum Atomausstieg und Fukushima: Herr Paulssen hat zunächst recht, wenn er sagt, dass die vielen Toten in Japan auf das Konto des Tsunamis gehen. Doch schon jetzt zeigt sich, dass die GAUs in Fukushima I noch weitaus verheerendere Folgen als die Riesewelle im März 2011 haben werden: Bei über 13.300 Kindern in der Präfektur Fukushima sind inzwischen Knoten in der Schilddrüse gefunden worden, die für diese betroffenen Heranwachsenden eine sehr schlechte Zukunftsprognose bedeuten.
Quelle: http://derstandard.at/1341845025886/Radioaktive-Strahlung-belastet-Schilddruese-von-Kindern
Dies ist nur ein Beispiel von vielen, und auch wenn das Thema in den deutschen Medien inzwischen nicht mehr viel Interesse findet, heißt das noch nicht, dass der GAU vorüber ist. Atomkraft ist nicht sicher, das ist bewiesener und unwiderlegbarer Fakt.

Mit Gruß, Carin Schomann

Bert am :

Ich bin zugegebenermaßen ein wenig schockiert, wie unsachlich die "BI-W-Ag" hier argumentiert, nur knapp werden die wahren Argumente verdeckt. Ein wenig mehr Gemeinsinn, anstatt Eigennutz wäre fein, denn mit dieser so offen zur Schau getragenen "not in my backyard" Verhinderungs-Haltung einiger Bürger werden wir die zwingend notwendige Energiewende jedenfalls nicht meistern.

Jeder muss seinen Beitrag zum Gemeinwohl leisten, gut wenn eine sachliche Presse das Ihrige tut, um sachfremden "Krawall" und Falschinformation in die Schranken zu weisen.

Frank am :

Der Karsten Paulssen, Sprecher der BI-W-O, ignoriert öffentlich Tatsachen.

" In Fukushima seien schließlich auch nur durch den Tsunami Menschen gestorben ..."

Das ist eine perverse Verhöhnung aller Strahlentoten. Angefangen bei den Einsatzkräften an den Reaktoren über steigende Krebserkrankungen in der Region bis hin zu den unzähligen Kindern mit veränderten Schilddrüsen wird die Ursache Atomkraft ihrer Leiden von dem Herrn ignoriert.

Das ist unterste Schublade und jeder Bürgerinitiative, egal mit welchem Ziel, unwürdig und peinlich!

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