Zerstörtes Onagawa nach dem Tsunami: Hilfe tut Not!

Frau Paetow und Herr Suzuki sammeln Spenden für den Wiederaufbau von Onagawa (CC-BY C.Schomann)Als am 11. März 2011 das Erdbeben vor Sendai mit Magnitude 9 einen Tsunami von nie zuvor gesehener Höhe auslöste, war unbeschreibliche Zerstörung die Folge. Zehntausende Menschen auf Honshu, der größten japanischen Insel, starben in den Fluten. Städte, Dörfer und Industrieanlagen entlang der Ostküste von Honshu wurden massiv beschädigt oder fortgeschwemmt. In Onagawa, Präfektur Myagi, «quetschte» sich die Riesenwelle ins Tal hinein und wurde dadurch immer noch höher. Onagawa ist schwer betroffen, die Menschen sind tot, geflohen oder leben in Notunterkünften.

Die Einwohner von Onagawa haben alles verloren und stehen buchstäblich vor dem Nichts. Inzwischen geht ganz langsam der Wiederaufbau los. Doch selbst die Grundversorgung mit behelfsmäßigen Häusern, Nahrungsmitteln und Kleidung ist kaum zu gewährleisten und daher können die betroffenen Menschen jede Hilfe gebrauchen.

Herr Hidefumi Suzuki und seine Lebenspartnerin Ingeborg Paetow aus Börnsen sind zwei, die helfen. Für die Menschen in Onagawa, der Heimatstadt von Herrn Suzuki, haben sie schon wenige Tage nach der Katastrophe eine Initiative gegründet und sammeln Spenden.
Am Morgen des 11. März erwachte Herr Suzuki in seinem Haus in Börnsen und hörte die Nachricht im Radio. Es dauerte einige Stunden, bis die SMS vom Neffen aus Onagawa kam, die etwas Beruhigung brachte: «Alle sind in Sicherheit.»

Was «alle» bedeutete, blieb zunächst unklar, denn die Familie Suzuki in Onagawa ist groß.

Telefonieren war nicht möglich, die Telekommunikation war tagelang zusammengebrochen, doch nach und nach kamen weitere Nachrichtenfetzen. Bald wurde klar, dass keins der Familienmitglieder der Katastrophe zum Opfer gefallen war. 30 Minuten hatten sie Zeit gehabt, sich in Sicherheit zu bringen, das hatte ihnen gereicht. Die Familie konnte sich retten, glücklicherweise. Geschätzt jeder zehnte Einwohner von Onagawa hatte dieses Glück nicht und wurde vom Tsunami fort- und aus dem Leben gerissen.

Später kamen dann immer mehr Fotos. Das Haus der Familie Suzuki, vor und nach dem Tsunami, ist hier zu sehen:

Haus der Familie Suzuki vor dem Tsunami. (C) Hidefumi SuzukiHaus Suzuki, Onagawa, nach dem Tsunami 2011 (C) Hidefumi Suzuki




Die Überlebenden sind in Turnhallen und anderen Notunterkünften untergekommen. Die Infrastruktur war völlig zerstört, Strom und Wasser fehlten, die Heizungen funktionierten nicht. Banken, Geschäfte und die meisten Wohnhäuser existieren nicht mehr.

Es war überhaupt keine Frage: Hilfe tut Not! Herr Suzuki und Frau Paetow gründeten umgehend eine private Initiative, um Spenden zu sammeln und schnellstmöglich nach Onagawa zu schaffen. Erst eine Stiftung zu gründen, hätte kostbare Monate gedauert und Kosten verursacht, darum entschlossen sich die beiden für diesen unkonventionellen Weg der privaten Spenderinitiative.

Am 21. März, zehn Tage nachdem die Katastrophe ihren Anfang genommen hat, saß Frau Paetow bei Herrn Jacob im Amt Hohe Elbgeest, um die Spendensammelinitiative anzumelden. Herr Jacob nahm die Meldung auf und informierte auch gleich alle umliegenden Polizeidienststellen, dass hier keine Betrüger am Werk seien.

Noch am selben Tag wurde ein Spendenkonto bei der HASPA eingerichtet (Bankverbindung für Spenden am Ende dieses Artikels) und die Arbeit konnte beginnen.

Der Hafen von Onagawa ist völlig zerstört. (C) Hidefumi Suzuki
Der Hafen von Onagawa ist völlig zerstört. (C) Hidefumi Suzuki
Onagawa: Von der Innenstadt sind nur wenige Reste geblieben. (C) Hidefumi Suzuki
Onagawa: Von der Innenstadt sind nur wenige Reste geblieben. (C) Hidefumi Suzuki




E-Mails und Briefe wurden geschrieben, erst an Freunde, später auch an Bekannte, an Geschäftsfreunde, alle mit der Bitte, es auch weiterzusagen: Spendet! Eure Hilfe wird dringend benötigt! Herr Suzuki arbeitet als Übersetzer und hat daher internationale Geschäftsfreunde. Alle wurden informiert. Trotzdem waren die beiden Börnsener überrascht über die sofortige starke Resonanz, die sie erzeugten.

Eines Morgens klingelte es sogar in Börnsen an der Haustür, erzählt Ingeborg Paetow. Draußen stand ein Holländer, auch ein Geschäftsfreund, er war gerade in Hamburg und kam spontan vorbei. In der Hand hatte er Geld: «Wir haben in unserem Betrieb für Onagawa gesammelt.»

Ein Mann aus Moers spendete kurzerhand das Geld, das er zu seinem Geburtstag geschenkt bekommen hatte.

In drei Schulen haben inzwischen Kinder ihr Taschengeld zusammengelegt oder durch Kuchenverkäufe für Onagawa Geld gesammelt und die Spenden überwiesen: Die 5c am Gymnasium Lohbrügge, die 5a am Gymnasium Kaltenkirchen und die Laienspielgruppe an der Grundschule Kuddewörde.

Eine weitere Spende ist von der Grundschule Jarmen bei Neubrandenburg angekündigt.

Zahllose Groß- und Kleinspender haben die Gesamtsumme der Spenden in den ersten zwölf Wochen auf schon knapp 40.000 Euro ansteigen lassen.

Onagawa in Trümmern. (C) Hidefumi Suzuki
Onagawa in Trümmern. Im Hintergrund ist noch die Wucht sichtbar, mit der die Riesenwelle selbst Betonwände durchschlagen hat. (C) Hidefumi Suzuki
Zertrümmertes Onagawa. Die Straßen wurden als erstes geräumt. (C) Hidefumi Suzuki
Zertrümmertes Onagawa. Die Straßen wurden als erstes geräumt. (C) Hidefumi Suzuki


Oft sitzen Herr Suzuki und Frau Paetow bis weit nach Mitternacht, ergänzen den mittlerweile zentimeterdicken Packen Kontoauszüge, recherchieren den Spendern hinterher. Bei jedem auffindbaren Spender wird sich bedankt, das empfinden die beiden Börnsener als Gebot der Höflichkeit. Sie sorgen auch für den zügigen Transfer eingenommener Spenden an die Bürgerinitiative «Onagawa-Cho Fukkoo Renraku Kyogikai (FRK)» in Onagawa. Die BI versorgt damit wenigstens einen Teil der rund 1300 Menschen in den Notunterkünften mit einer zusätzlichen warmen Mahlzeit am Tag und hat inzwischen auch einen Wochenmarkt auf die Beine gestellt.

Wenn sie keine Briefe schreiben oder Nachrichten aus Japan einholen, dann machen Herr Suzuki und Frau Paetow Öffentlichkeitsarbeit. Diverse Stände in Bergedorf konnten sie schon abhalten, leider immer nur auf privatem Grund, nie auf öffentlichem. Die Gemeindesatzung von Bergedorf scheint es zu verbieten, dass private Spendensammler öffentlich für ihre Sache werben. Dafür waren die Geschäftsführer des Marktkauf-Centers in Lohbrügge, Herr Gissel, und des CCB, Herr Eigenbrod, umso hilfsbereiter. Sie erlaubten nicht nur das Sammeln von Spenden für Onagawa auf ihrem Gelände, sondern unterstützten die Initiative, indem sie Standfläche und Standmobiliar kostenlos zur Verfügung stellten.

Sogenannte Übergangshäuser bieten erstmals wieder eine zivilisierte Bleibe. (C) Hidefumi Suzuki
Sogenannte Übergangshäuser bieten erstmals wieder eine zivilisierte Bleibe. (C) Hidefumi Suzuki
Spenden aus Deutschland ermöglichen eine dritte Mahlzeit für die Tsunamiopfer. (C) Hidefumi Suzuki
Spenden aus Deutschland ermöglichen eine dritte Mahlzeit für die Tsunamiopfer. (C) Hidefumi Suzuki




Inzwischen wurden in Onagawa die ersten sog. Übergangshäuser gebaut. Etwas mehr als 200 stehen bereits, 400 weitere sind bereits fest geplant. Gebraucht werden rund 2000, weiß Herr Suzuki.

Frau Paetow betrachtet indes die neuen Fotos von den Mahlzeitenausgaben, die mit den Spenden der Börnsener Initiative ermöglicht werden. Immer wieder muss sie schlucken beim Betrachten der Kindergesichter, in denen sich das Leid, aber auch das gelassene Ertragen des Unabänderlichen wie in einem Spiegel abzeichnet. Bei ihren Berichten sind sie beide hin- und hergerissen zwischen dem immer noch Unfassbaren und dem Optimismus, den man haben muss, um mit einer solch schrecklichen Situation fertig zu werden. Selbst wenn man sich im sicheren Deutschland befindet, über 9000 Kilometer vom Ort der entsetzlichen Geschehnisse entfernt.

Wer das Engagement von Herrn Suzuki und Frau Paetow unterstützen und helfen möchte, den unmittelbaren Notstand in Onagawa zu lindern, kann auf folgendes Konto spenden:
Kontoinhaber: Suzuki/Paetow
Konto-Nummer: 1397 905 116
Bankleitzahl: 200 505 50
Hamburger Sparkasse
Verwendungszweck: Spende Onagawa

ACHTUNG: Bitte überweisen Sie Ihre Spende spätestens zum 29.12.2011. Das Konto wird per Jahresende geschlossen.

Bleibt zu hoffen, dass die grenzenlose Zuversicht der Bewohner von Onagawa gerechtfertigt ist und der Wiederaufbau ungestört bleibt. Die atomare Katastrophe im nur 120 Kilometer entfernten Fukushima hat bisher offensichtlich keinen Einfluss auf die Aktivitäten in Onagawa und auch nicht in Börnsen. Die Menschen fürchten sich nicht vor der Radioaktivität, sagt Herr Suzuki. Die Tsunami-Folgen zu beseitigen und Normalität wiederherzustellen koste sie ohnehin schon alle Kraft. Onagawas eigene Atomfabrik mit ihren drei Reaktoren ist derzeit vom Netz. Auch dort hatte es ernste Zwischenfälle gegeben. Nach dem Tsunami am 11. März war ein schnell gelöschter Brand dort ausgebrochen; bei einem Nachbeben der Magnitude 7.4 Anfang April war Kühlwasser aus dem Abklingbecken geschwappt. Bei beiden Unfällen hatten die Behörden recht zügig Entwarnung gegeben. Onagawa I bis III könnten eigentlich sofort wieder ans Netz gehen, meint Herr Suzuki, wenn die neuen Sicherheitsanforderungen in Japan schon in Kraft getreten wären und das Kraftwerk diesen entspräche.

Der radioaktive Fallout von Fukushima indes kennt genau wie der Mut der Menschen in und um Onagawa keine Grenzen. Bedenkliche Strahlenwerte wurden längst in Hunderten Kilometern Entfernung gemessen. Bereits Mitte Mai war die Radioaktivität in der weit entfernten Präfektur Kanagawa, südlich von Tokyo, ein Problem. Dort haben die Behörden in Proben von der aktuellen Teeernte unzulässig hohe Becquerel-Werte ermittelt und die Teebauern ersucht, den radioaktiv verseuchten Tee nicht in den Handel zu bringen.

Die Evakuierungszone um die Atomfabrik Fukushima ist mittlerweile auf 30 Kilometer erweitert worden und sie soll weiter wachsen, derzeit bis nach Iitate, wo die Situation inzwischen sehr gefährlich ist und die Menschen zum Weggehen zwingt. Was auch immer noch alles passiert, die Menschen in Onagawa brauchen jede erdenkliche Hilfe, sei sie noch so klein, jetzt. Allein schon für die Kinder.
Stille Kinder in Onagawa, Japan, nach dem Desaster.

UPDATE 2011-06-15 aus Kanagawa (von reuters.com)
Hisao Nakamura still can't accept that his crisply cut field of deep green tea bushes south of Tokyo has been turned into a radioactive hazard by a crisis far beyond the horizon.
"I was more than shocked," said Nakamura, 74, who, like other tea farmers in Kanagawa has been forced to throw away an early harvest because of radiation being released by the Fukushima Daiichi plant 300 kilometers (180 miles) away.
"Throwing way what you've grown with great care is like killing your own children."

UPDATE 2011-07-04:
In Tokio haben sie inzwischen strahlendes Cäsium im Leitungswasser.

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