Windenergie-Debatte: Zeit für mehr Sachlichkeit

Festsaal »Gaststätte Neudorf« von Otto Garbs
10. Treffen der BI-W-O im »Gasthof Neudorf« bei Otto Garbs
Gut und gerne 50 Teilnehmerinnen und Teilnehmer fanden sich zum 10. Treffen der BI-W-O am letzten Donnerstag im »Gasthof Neudorf« bei Otto Garbs ein. Die meisten von ihnen Einwohner von Ochsenwerder, doch auch aus anderen Dörfern im Landgebiet kamen sie und auch einige Lokalpolitiker zeigten sich.

Nur einer fehlte: Norbert Fleige, Diplom-Ingenieur aus Neu-Allermöhe und für die GAL Mitglied der Bergedorfer Bezirksversammlung. Ihn hatte Karsten Paulssen, einer der Sprecher der BI-W-O, persönlich eingeladen, nachdem Fleige einen pointierten Leserbrief in der lokalen Tageszeitung hatte drucken lassen, der Wissenslücken erkennen ließ. Die Uninformiertheit hatte Fleige zu Spekulationen verleitet und zum Vorwurf des Egoismus – Anwürfe, die einem beim Lesen »den Hals wie einen Heißluftballon« anschwellen lassen könnten, wie Paulssen es ausdrückte. Es sei aber der Sache nicht dienlich, sich zu ärgern und emotional zu reagieren, sagte er zur Eröffnung der Sitzung, das Gebot der Stunde heiße: Sachlichkeit!

Protestplakat der Bürgerinitiative Windkraft Ochsenwerder
Zeichen des Nicht-Einverstandenseins: In und um Ochsenwerder hängen schon bald 100 Protestplakate gegen Hamburgs unausgegorene Windkraftpläne.
Die Hamburger Energiewende schlägt Wellen und es rumort in den Vier- und Marschlanden. Viel zu hoch und viel zu dicht an den Wohnhäusern sollen die geplanten Windkraftanlagen errichtet werden, finden viele der betroffenen Bürger. Ganz naiv sind sie in dieser Hinsicht nicht, immerhin leben sie seit bis zu 20 Jahren mit einem oder mehreren Windrädern in der Nähe – allerdings nicht so nah wie jetzt geplant und auch nicht so hoch. So lautet ihre Hauptforderung: Minimum 1,5 Kilometer Abstand bei einer Nabenhöhe von 100 Metern und nicht, wie zurzeit vorgesehen, das dichteste Windrad in weniger als 500 Metern Entfernung von der nächstgelegenen Siedlung.

Die Bürgerinitiativen in Ochsenwerder und am Kiebitzdeich haben ungebremsten Zulauf, ihre Mitglieder bilden sich unermüdlich zu Experten in Sachen Windenergie und Bürgerrechten aus. Sie sammeln Unterschriften gegen das derzeit diskutierte Repowering in den Vier- und Marschlanden, rund 500 haben die Kiebitzdeicher mittlerweile zusammen, die Ochsenwerderaner haben jetzt ihre Unterschriftenlisten ausgelegt. Großtransparente wurden aufgestellt und Plakate aufgehängt; die erste Auflage von 100 Stück ist nahezu ausverkauft.

»Herr Fleige hat noch etwas Nachholbedarf.«, wurde der Leserbrief auf der BI-W-O-Sitzung kommentiert. Dann folgten Berichte über andere Politiker, die sich sachkundig gemacht haben, auch vor Ort oder beim Hamburger Senat. So etwa Heinz Jarchow, stellvertretender Vorsitzender des Regionalausschuss, und Gert Kekstadt, Abgeordneter der Bürgerschaft, die sich bei einer Ortsbegehung die Situation schildern ließen. Oder Dennis Gladiator, der eine Kleine Anfrage an den Senat stellte.

Olaf Grotheer, der über letztere berichtete, zeigte sich enttäuscht von der Antwort des Senats auf Gladiators Anfrage (PDF). Wieder gab es nicht die erhofften Aussagen zu den strittigen Hamburger Abstandsregelungen, sondern eine schlichte Wiedergabe des bekannten Sachstands:
In Hamburg gibt es keine Bestimmungen über Abstandsregelungen. Grundlage sind gutachterliche Empfehlungen, die auf Regelungen in anderen Ländern Bezug nehmen.
Die Abstände ergeben sich aus dem Abwägungsprozess im Rahmen des FNP-Änderungsverfahrens. Für jede Anlage ist darüber hinaus ein Genehmigungsverfahren gemäß dem Gesetz zum Schutz vor schädlichen Umwelteinwirkungen durch Luftverunreinigungen, Geräusche, Erschütterungen und ähnliche Vorgänge – BImSchG erforderlich. Auf diese Weise wird ein ausreichender Immissionsschutz gewährleistet.«

Zur Untermauerung hatte der Senat eine Teilveröffentlichung des bisher nicht-öffentlichen, so genannten EGE-Gutachtens angefügt, auf dem die derzeitige Flächennutzungsplanung für das Repowering bzw. den Neubau von Windrädern fusst.

Dass der Senat hier so kategorisch von ausreichendem Immissionsschutz redet, provozierte sarkastische Kommentare. »Jede Fledermaus, jede Grille ist wichtiger als der Mensch.«, raunte es allenthalben. Das Ganze sei deswegen so ärgerlich, »weil keine Rücksicht auf die Menschen genommen wird«, fasste Rainer Deutschmann, auch er einer der Sprecher der BI-W-O, lakonisch zusammen. Die Befürchtungen, die sowohl in Ochsenwerder als auch am Kiebitzdeich wiederholt ausgesprochen wurden, nämlich dass Windräder nahe an Wohnbebauung Gesundheitsschäden auslösen könnten, werden ignoriert, so hat es den Anschein. Denn das BImSchG berücksichtigt nicht die neueren Erfahrungen, die mit dem vermehrten Ausbau der Windkraftanlagen in Form von zahlreichen Erkrankungsfällen schon gemacht wurden.

In puncto Bürgermitsprache könnte sich aber demnächst doch etwas bewegen, so lässt zumindest die Senatsantwort hoffen: »Die Beteiligung [der Bürger] erfolgt im Rahmen der gesetzlichen Anforderungen. Darüber hinausgehende Beteiligungs- beziehungsweise Mitwirkungsmöglichkeiten werden zurzeit geprüft.«
Die Rede ist hier vermutlich von der Einrichtung eines Runden Tisches, den der Abgeordnete Ernst Heilmann unlängst im Stadtplanungsausschuss vorgeschlagen hat. Die Behörde für Stadtentwicklung und Umwelt (BSU) prüft derzeit, wie und wann ein solches Gremium gebildet werden könnte.

Ein wenig Zeit für mehr Bürgerbeteiligung – in welcher Form, wird sich zeigen – gibt es auf jeden Fall, denn die Beschlussfassung verzögert sich weiter. Nach Auskunft von Karen Bruns, BSU, wird der nächste Schritt im Verfahren – die Auslegung der Flächennutzungsplanänderung – nicht wie bisher verlautbart im 3. Quartal 2011, sondern »frühestens Ende 2011 oder Anfang 2012« stattfinden können.

Zeit also für Diskussion und vielleicht auch für neue Ideen, wie klimapolitische Erfordernisse, wirtschaftliche Interessen und berechtigte Forderungen der Bürger nach einer unverminderten Wohnqualität unter einen Hut gebracht werden können. Zum Beispiel mittels geeigneten Kooperationen Hamburgs mit den angrenzenden Flächen-/Küstenländern, wie die Antwort des Senat auf die Große Anfrage von GAL-Politikern (PDF) vom Mai dieses Jahres anzudeuten scheint:
»Da aufgrund des begrenzten Flächenangebots allerdings beispielsweise in Hamburg keine nennenswerte Produktion der Branche angesiedelt werden kann, die sich aber beispielsweise für die Windenergie in Norddeutschland an anderer Stelle findet, sind Kooperationen für den Standort Hamburg erforderlich.«
Denn: »Die Anwendung der erneuerbaren Energien in Hamburg soll auch zukünftig weiter ausgebaut und durch das Klimaschutzkonzept gefördert werden. Ein Schwerpunkt liegt hier bei der Wärmeversorgung aus erneuerbaren Quellen. Auch hier strebt der Senat die Zusammenarbeit mit den norddeutschen Ländern an. Hamburg bietet sich als Industriestandort mit einer hohen Verbrauchsdichte an, erneuerbare Energien aus den Küstenländern aufzunehmen.«

Die Energiewende passiert jetzt und sie benötigt alle verfügbare Energie ihrer Gestalter. Umso verwunderlicher, dass manche dennoch Zeit finden, sich in Unsachlichkeit zu üben. Zeit für Polemik ist dies nicht und auch keine Zeit, mit dem Gebrauch eines martialischen Wortschatz ein eventuelles Feuer zu entfachen. Wie die Lokalzeitung von »geklärten Fronten« zu reden oder in Leserbriefen der anderen Seite Egoismus vorzuwerfen, scheint kaum zielführend und entzieht unnötig Energie. Die Debatte muss vorankommen und Kompromisse müssen gefunden werden, mit denen alle leben können. Alles andere ist unzeitgemäß.

Wer Zeit hat, schaltet morgen, Montag Abend, NDR-Fernsehen ein und erfährt, was die BI Kiebitzdeich zu sagen hat.
UPDATE: Inzwischen ist der Clip beim NDR in der Mediathek gespeichert (bis er wieder depubliziert wird).

Und wer am 18. August ab 19 Uhr Zeit hat, kann sich im »Gasthaus Neudorf« auf der dann 11. Sitzung der BI-W-O sachkundig machen.

WKA Neuengamme; Blick vom Hauptdeich Richtung KZ-Gedenkstätte
Windpark Neuengamme, Blick vom Hauptdeich in Richtung KZ-Gedenkstätte; Entfernung zur ersten Reihe der Windräder (Nabenhöhe: 50 Meter): rund 800 Meter


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