Windkraft-Repowering: BSU-Großaufgebot kann Misstrauen nicht zerstreuen

Delegation der Umweltbehörde in Ochsenwerder. Links im Bild: Moderatorin Katrin Fahrenkrug
Die Umweltbehörde schickte eine große Delegation nach Ochsenwerder. Links im Bild: Moderatorin Katrin Fahrenkrug
28.02.2012 | Unbeeindruckt zeigten sich die windkraftkritischen Ochsenwerderaner von der geballten Anwesenheit der BSU-Experten. Gutachter, Experten und Mitarbeiter der Behörde inklusive dem Staatsrat Holger Lange waren am vergangenen Montagabend in die Marschlande gereist, um die Anwohner über den Planungsstand des Windkraft-Repowering zu informieren und sich der Diskussion zu stellen. Etwa 200 Teilnehmer, zumeist Anwohner, aber auch einige Lokalpolitiker, Betreiber und Planer füllten Arne Meyers Saalbau am Ochsenwerder Kirchendeich bis auf den letzten Quadratzentimeter; die Atmosphäre war spürbar geladen schon vor Beginn der rund dreistündigen Veranstaltung.

Die Anspannung entlud sich das erste Mal, als Staatsrat Lange die einführenden Worte sprach. Informieren wolle seine Behörde heute abend und auch werben, für den neuen Wirtschaftszweig, den die Windkraft hervorbringe. Er könne verstehen, dass Ochsenwerderaner die Repowering-Ambitionen skeptisch verfolgten. "Sie haben hier ja einen sehr schönen Dorfkern...", eine lautstarke Bestätigung unterbrach ihn hier und es sollte nicht die letzte derartige Unterbrechung an diesem Abend bleiben.
Staatsrat Holger Lange
Staatsrat Holger Lange
Lange ließ sich davon nicht aus dem Konzept bringen. Die "Energiewende", so plötzlich sie nach dem GAU von Fukushima in Deutschland gekommen sei, hätte Hamburg als Wirtschaftsstandort gestärkt, führte er fort. Die Windindustrie habe sich vermehrt in Hamburg angesiedelt, weit über 2000 Arbeitsplätze seien in den vergangenen Jahren hier entstanden. Der neue Wirtschaftszweig habe sich als äußerst krisenfest erwiesen, profitieren würden Handwerk, Maschinenbau, Energiewirtschaft, Dienstleistungsbranche. Mit den Energieversorgern habe Hamburg erst kürzlich einen Vertrag geschlossen, um den Ausbau der Erneuerbaren voranzubringen. "Wir nehmen die Daseinsvorsorge sehr ernst, dazu gehört die Stärkung der Wirtschaftskraft, aber auch, dass wir uns Ihre Sorgen und Nöte anhören", sagte Lange.

Im Anschluss stellt Moderatorin Katrin Fahrenkrug vom Institut Raum & Energie die Fachleute und Behördenmitarbeiter vor. Auch fragte sie ins Publikum, und das löste bei einige Befremden aus, wer denn tatsächlich aus dem Dorf sei, wer Politiker, wer Betreiber und wer Presse sei und hieß die jeweiligen Personen aufstehen. Nachdem die überwältigende Mehrheit sich als Dorfbewohner geoutet hatte, war allen Beteiligten klar, dass das Interesse an den lokalen Windkraftplänen genuin ist und nicht von irgendwelchen Nicht-Betroffenen von außerhalb gelenkt wird.

Frau Bruns, Landschaftsplanerin bei der BSU
Frau Bruns, Landschaftsplanerin bei der BSU
Die Präsentationen der Fachleute enthielten im Grunde wenig Neues. Jedenfalls für all diejenigen, die sich ohnehin stark mit dem Thema beschäftigen wie z.B. die Bürgerinitiative Windkraft Ochsenwerder "BI-W-O". Karen Bruns, Landes- und Landschaftsplanerin in der BSU (Behörde für Stadtentwicklung und Umwelt), trug den Hauptpart vor – die zu ändernden Flächennutzungspläne als Voraussetzung für die Standorte der neün Windkraftanlagen (WKA). Auch sie, häufig unterbrochen von Zwischenrufen, fuhr unbeirrt in ihrem Vortrag fort. Demnach soll das geplante Eignungsgebiet (PDF) entlang des Landscheidewegs am östlichen Ende etwas erweitert und am westlichen Ende stark erweitert werden. Insgesamt soll sich die Größe der Fläche etwa verdoppeln, im Westen bis an die Pappelreihe heranreichen, also grob geschätzt 700 Meter vom Elversweg entfernt enden. 7 WKA mit 100 m Gondelhöhe (150 m Gesamthöhe) würden auf diese Fläche passen. Nicht als Eignungsfläche geplant ist der heutige Standort der einzelnen WKA am Norderquerweg, dieses soll ersatzlos abgebaut werden. Nicht mehr als Eignungsfläche geplant wird das vormals geplante kleine Gebiet in der Reit, aus vogelschutzfachlichen Gründen.

Bruns machte noch einmal den Sinn der Eignungsflächen deutlich: Wenn es solche Flächen nicht gibt, dann könnten WKAs automatisch, auch einzeln, beliebig an allen möglichen Standorten beantragt werden und müssten nach Baugesetzbuch entsprechend auch genehmigt werden. Eignungsflächen sollen die "Verspargelung der Landschaft" verhindern. Die Veröffentlichung der zugrundeliegenden naturschutzfachlichen und landschaftsplanerischen Gutachten stellte Bruns erneut für "demnächst" in Aussicht, so, wie sie das auch schon im Juli 2011 avisiert hatte.
Zum zeitlichen Ablauf des Verfahrens wiederholte Bruns, dass man anstrebe, noch vor Ablauf des Jahres den Beschluss der Bürgerschaft zu erhalten. Im Vorfeld müssen die Änderungen der Flächennutzungspläne öffentlich ausliegen. Dies werde im Sommer der Fall sein. Betroffene Bürger haben dann mehrere Wochen Zeit, die Unterlagen zu studieren und gegebenenfalls schriftliche Einwendungen zu machen. Für die Einreichung der Einwendungen haben jeder Bürger 4 Wochen Zeit. Die Einwendungen werden in die Beschlussvorlage eingearbeitet, die die BSU erarbeitet. Einwendungen, die nicht berücksichtigt werden, müssten der Bürgerschaft angezeigt werden, sagte Bruns.

Nachfolgend hielten die BSU-Fachleute kurze Referate zum Vogelschutz (Udo Bendzko), zur Lärm- und Schattenproblematik (Stefan Mundt) und zur Genehmigung nach BImSchG (Bundesimmissionsschutzgesetz; Dr. Kerstin Selke), unterstützt von ihren Fachkollegen und immer wieder unterbrochen durch Zwischenfragen und Zwischenrufe. Moderatorin Fahrenkrug sorgte für einen geordneten Ablauf, was bei der Fülle von Fragen nicht immer einfach war.

Das Spektrum der Fragen reichte von informiert bis emotional. Norbert Pernitt verwies auf die Literatur von "anerkannten Experten", die bei den Hamburger Mindestabständen von 500 bzw. 300 m ganz klar Gesundheitsgefahren sehen und wollte wissen, ob Hamburg es verantworten könne, die Landbevölkerung so in Gefahr zu bringen. Leena Clausen wollte wissen, wieso zwischen Einzelhäusern und zusammenhängenden Siedlung ein Unterschied gemacht wird, ob die Bewohner von Einzelhäusern weniger wert seien. Karen Bruns sagte, man sei sich bewusst, dass man mit diesen Abständen an die untere Grenze ginge, aber anders sei es nicht möglich, das erklärte Windkraftziel zu erreichen, schließlich sei Hamburg ein Stadtstaat – ein Hinweis, der Tumult auslöste.

Die Liste der kritischen Einwände war lang, von der Verhinderung weiterer Wohnbebauung war die Rede, vom Eindruck, dass die Planbehörde keine Rücksicht auf die Gesundheit der Anwohner nehme, dass in Sachen Lärm und Schattenschlag Schönrederei betrieben werde, warum die hohen WKAs unbedingt im Stadtstaat Hamburg bauen, statt nicht "nordstaatmäßig" zu denken und ins Umland auszuweichen ... nicht nur zwischen den Zeilen wurde deutlich, dass das Misstrauen groß ist. "Wir fühlen uns verscheißert!", der Satz kam wörtlich und mehrfach, jedesmal frenetisch beklatscht, und brachte auch den Staatsrat kurz einmal an den Rand der Fasson. "Wir haben hier ein klares, transparentes Verfahren. Wir machen das hier nicht auf der grünen Wiese, sondern wohldurchdacht. Wenn wir Fehler machen, niemand ist fehlerfrei..." der Rest des Satzes ging im Tumult unter.

Ob denn das Verfahren nicht irgendwie noch zu stoppen sei, fragte Matthias Zaum, der langhaarige CDUler den Staatsrat. Die Flächennutzungspläne neu zu gestalten sei erklärtes Ziel des Senates, antwortete Lange.

Die Sitzung wurde protokolliert
Metaplan-Tafeln mit Fragen und Argumenten zum Windkraft-Repowering in Hamburg
Die Metaplan-Tafeln, auf denen die Anwohner ihre Fragen und Bedenken notiert hatten, dienten Frau Fahrenkrug als roter Faden durch die Veranstaltung und sind Bestandteil des Protokolls.
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Die Bürger haben jederzeit die Möglichkeit, sich gemäß Informationsfreiheitsgesetz und Umweltinformationsgesetz bei den planenden Institutionen Akteneinsicht zu verschaffen und bspw. die Gutachten oder auch die Niederschrift der Veranstaltungen vor deren Veröffentlichung einzusehen und Kopien mit nach Hause zu nehmen.

Frau Bruns bedankte sich auf ihrer letzten Folie fuer die Aufmerksamkeit und gab noch folgende Information:

Amt für landes- und Landschaftsplanung:
LP3{at}bsu.hamburg.de

Hamburger Stadtplanungsportal:
www.hamburg.de/bauleitplanung

Informationen zu den Änderungen des Flächennutzungsplans im Bezirk Bergedorf:
www.hamburg.de/flaechennutzungsplan/1751344/aenderungen-in-bergedorf.html

Zwei weitere Informationsveranstaltungen dieser Art sind für die beiden anderen Windparks in den Vier- und Marschlanden angekündigt.

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