Vattenfall windet sich: KKK-Rückbau weiterhin unbestimmt

Ratssaal Geesthacht, Podium KKKrümmel-Rückbau am 13.09.2012
Dr. Cloosters, Atomaufsicht Kiel, bedauerte Vattenfalls zögerliche Haltung mit starken Worten.
Das Kernkraftwerk Krümmel (KKK) bei Geesthacht gehört zu den acht AKWs, denen unmittelbar nach der Katastrophe in Fukushima die Genehmigung zum Leistungsbetrieb entzogen worden ist. Seither ist der hochgradig störanfällige, weltweit größte Siedewasserreaktor im »Stillstandsbetrieb«, manchmal auch »Stand by-Betrieb« genannt. Vattenfall hat sich als einzige der vier Betreibergesellschaften in Deutschland noch nicht dazu geäußert, wie und vor allem wann es Krümmel und auch sein zweites AKW Brunsbüttel rückbauen wird. Illegal ist das nicht, aber in höchstem Maße anstößig, was auch der große Zulauf ausdrückte, den am letzten Donnerstag eine Informationsveranstaltung zum Rückbau von Krümmel bekam.

Das KKK wird zurzeit zumindest äußerlich saniert, was das latente Misstrauen befeuert, Vattenfall könnte auch deswegen mit dem Rückbauantrag zögern, weil sie insgeheim auf die Rücknahme der Stilllegungsverordnung pokern. Die regelmäßig ausweichenden Antworten von Kraftwerksleiter Fricke und Vattenfall Deutschland-Manager Neuhaus auf punktgenaue Fragen zeigten deutlich: Sie können oder wollen nicht genau sagen, was im Kraftwerk los ist, und sie wollen sich vor allem immer noch nicht festlegen, was den Rückbau angeht.

Die Stadt Geesthacht hatte am vergangenen Donnerstag mit Unterstützung des Geesthachter Umweltbeirats und auf Anregung der »Elterninitiative Geesthacht« und der BUND-Ortsgruppe eine Bürgerinformation durchgeführt. Im übervollen Ratssaal fühlten sich die beiden Vattenfall-Leute sichtlich unwohl und rutschen die ganze Zeit nervös auf ihren Stühlen herum. Mit ihnen auf dem Podium saßen Dr. Oliver Karschnick, MELUR S-H, und Dr. Wolfgang Cloosters, Leiter der Atomaufsicht in Kiel seit 1995, weiterhin Dr. Michael Hoffmann vom Bundesamt für Strahlenschutz, der Physiker Wolfgang Neumann vom unabhängigen Gutachterbüro intac in Hannover und als Moderator Jürgen Vollbrandt, Vorsitzender des Geesthachter Ausschusses für Umwelt und Planung. Bürgermeister Dr. Volker Manow begrüßte das hochkarätige Podium und an die 240 Bürgerinnen und Bürger sowie Orts- und Landespolitiker, die sich im Saal auf Stühlen, Fensterbänken und stehend bis in die Lobby vor dem Saal zweieinhalb Stunden informierten und Fragen stellten.

AKW Krümmel 2012 mit Baugerüst
Motivierte Mitarbeiter, klinische Sauberkeit, eingehauster Schlot: Das Baugerüst an der straßenseitigen Fassade dient als Fläche für Imagewerbung und als Gelegenheit, den Kamin gleich mit zu renovieren.
Für das Ende von Atomkraftwerken gibt es nach geltendem Atomrecht grundsätzlich zwei Varianten: Den sog. sicheren Einschluss, bei dem die Brennelemente aus dem Reaktor und aus dem Abklingbecken in ein Trockenlager gebracht und der verbliebene schwach-, mittel- und nicht-strahlende Rest an Ort und Stelle »sicher eingeschlossen« wird, oder den Rückbau zur grünen Wiese, berichtete Dr. Karschnick, der in seinem Vortrag [PDF] die Rechts- und Genehmigungssituation darlegte. Der Rückbau eines AKW dauerte dabei mindestens 20 Jahre und kann erst begonnen werden, wenn die Nachzerfallswärme der vorhandenen Brennstäbe ein bestimmtes Maximum nicht mehr überschreitet, also etwa 4-5 Jahren nach Betriebsende des Reaktors.

Die Variante des sicheren Einschlusses war zunächst entwickelt worden, weil es noch keine Erfahrungen gab. Diese Variante sieht die Atomaufsicht in Kiel als obsolet an, weil es inzwischen genügend Rückbauerfahrung gibt. Dr. Cloosters erklärte dazu, dass Schleswig-Holstein, wie im Koalitionsvertrag festgeschrieben, eine Bundesratsinitiative einbringen will, diese Möglichkeit aus dem Atomgesetz zu streichen. »Ein Rückbau zur grünen Wiese ist möglich. Der sog. sichere Einschluss ist ethisch nicht mehr vertretbar, das Strahlenrisiko wäre unnötig hoch und der Fachkräftemangel in 20, 30 Jahren ist heute schon absehbar.«, sagte Cloosters. Diese Auffassung teilen offenbar auch drei der vier Betreiber jener 8 AKWs, die nach der Katastrophe in Fukushima unter das Atommoratorium fielen und nicht mehr in Betrieb gehen dürfen. Cloosters berichtete, dass EON, RWE und EnBW für ihre betroffenen AKWs in Hessen, Baden-Württemberg, Bayern und Niedersachsen inzwischen durchgehend erklärt haben, dass sie sie zurückbauen und nicht sicher einschließen werden und teilweise auch schon Rückbauanträge gestellt hätten. »Nur in Schleswig-Holstein hat der Betreiber Vattenfall bislang noch keine Anträge auf eine Stilllegungsgenehmigung gestellt.«, sagte Cloosters. »Wir bedauern das und wir fordern Vattenfall auf und drängen Vattenfall, sich hier endlich verbindlich zu erklären, welche der zulässigen Varianten sie wählen und dann auch einen Antrag zu stellen! Wir wollen, dass die beiden Kernkraftwerke abgebaut werden und entsprechende Anträge gestellt werden.« Die Bundesregierung habe es bei der 13. Novelle des Atomgesetzes versäumt, die Randbedingungen zu definieren, sagte Cloosters, auch deshalb werde Schleswig-Holstein Druck ausüben und darauf hinarbeiten, dass das Gesetz deutlicher werde und die Atomaufsichtsbehörden gestärkt werden. Der Fall Vattenfall zeige, dass dies nötig ist.

Grundlegende Aspekte zu Stilllegung und Rückbau von KKW [PDF] »aus unternehmerischer Sicht« näherbringen wollten die beiden Vertreter der Betreiberin Vattenfall, Dr. Ingo Neuhaus, Leiter von Vattenfalls seit 1. April 2012 bestehender Abteilung »Stilllegungs- und Rückbauplanung«, und Thomas Fricke, Kraftwerksleiter in Krümmel seit 1. Oktober 2011. Neuhaus versuchte zunächst die Fraternisierungstaktik und verriet, in Tesperhude zu wohnen, brachte dann aber nicht viel mehr als die bekannten Phrasen: »Auch wir stellen uns der Herausforderung und werden die Aufgabe zügig angehen, so zügig, wie es geht, aber, da bitte ich um Verständnis, mit der erforderlichen Sorgfalt.« Aus technischen Gründen wolle Vattenfall seine Rückbauüberlegungen zunächst auf Brunsbüttel fokussieren. Ein Grund, den Neuhaus nannte, war die Restlaufzeit, die bei Krümmel höher liegt als bei Brunsbüttel. Außerdem habe man für Krümmel erst später Castoren bestellt, um die Brennelemente aus der Anlage zu bekommen. Da die GNS, in Deutschland einziger Lieferant von Castoren, aber noch nicht liefern könne, müsse hier noch gewartet werden. Außerdem ginge es auch um viel Geld, sagte Neuhaus, da gehe es um Masse, »roundabout 33 Tausend Tonnen«. Außerdem sei ja noch gar nicht geklärt, wohin mit den Reststoffen, es fehle ja immer noch der Schacht Konrad und hinter allen diesen vielen Überlegungen stünden ja auch große Summen und aus unternehmerischer Sicht gebe es ja auch viel Risiko et cetera pp.. So sei Vattenfall sich noch nicht schlüssig, wie es möglichst kostengünstig aus dieser Nummer raus komme. Natürlich nicht auf Kosten der Sicherheit, ergänzte Neuhaus noch schnell.

Kraftwerksleiter Fricke berichtete, dass inzwischen die Brennelemente aus dem Reaktor ins Lagerbecken verbracht worden sind, wo damit jetzt um die 1.000 Brennelemente lagern. 23 Castoren werden gebraucht, um die Elemente außerhalb des Kraftwerk zu lagern. Die Nachzerfallsleistung betrage jetzt noch ca. 300 KW, im Becken befänden sich ca. 1.500 m³ Wasser, woraus Fricke »ein relativ geringes Gefährdungpotenzial« ableitete. Die Karenzzeit bis zum Siedepunkt, falls es zu einem Ausfall der Kühlung kommen sollte, läge im Wochenbereich, sagte Fricke. Das Standortzwischenlager sei jetzt mit 19 beladenen Castoren bestückt; mit den zusätzlichen geschätzt 23 wäre es dann vom Volumen her zur Hälfte und von der Wärmekapazität zu einem Viertel ausgelastet.
Das Gerüst an der Fassade sei unabhängig von der aktuellen Entwicklung schon länger geplant und aus Arbeitsschutzgründen nötig: Es bröckelt der Beton, sagte Fricke. Die Entscheidung, den Kamin jetzt auch zu warten, wo das Gerüst gerade steht, sei aus Effizienzgründen gefallen, erwähnte Fricke noch.

Der unabhängige Gutachter Wolfgang Neumann wunderte sich über die Konzeptlosigkeit von Vattenfall. Zu seinen Diskussionspunkten für die Stilllegung des Atomkraftwerkes Krümmel [PDF] gehörte, dass Vattenfall laut Stilllegungsrichtlinie des BMU von 2009 eigentlich längst in der Lage sein müsste, den Stilllegungsantrag zu stellen. Auch wäre der Mangel an Castoren nicht nötig gewesen, wenn die Behälter rechtzeitig bestellt worden wären. Neben zahlreichen Sicherheitsaspekten unterstrich Neumann die Beteiligung der Öffentlichkeit bei jedem wichtigen Schritt im Rückbauprozess - aus Gründen der Transparenz und auch deswegen, weil es in der Öffentlichkeit immens viel Fachwissen gibt, das nach dem Motto »Vier Augen sehen mehr als zwei« unbedingt genutzt werden müsse.

Ratssaal Geesthacht, voll besetzt
An die 240 kamen, um sich über die Rückbaupläne von Vattenfall zu informieren.
Auch in der anschließenden Fragestunde vertat Vattenfall viele Chancen, an jahrelang verspieltem Ansehen zurück zu gewinnen. Die enttäuschenden, weil nicht vorhandenen Rückbaupläne waren das eine, aber auch andere Antworten fielen schwach aus: Weder hat man inzwischen ein vollständiges Bild über den Zustand der Fässer im unterirdischen Fasslager noch weiß man inzwischen genau, wieviele defekte Brennstäbe das Lagerbecken wirklich beherbergt - »eher 5 % als eher 100 %«, sagte Kraftwerksleiter Fricke -, und man weiß auch noch nicht, wie man diese defekten Brennstäbe behandeln will. Eine Menge Mängel sowohl bei den Kenntnissen der konkreten Situation vor Ort als auch bei den zu lösenden Aufgaben traten zu Tage. Auf den Vorschlag eines Nachbarn, als vertrauenbildende Maßnahme doch wenigstens schon mal eine Turbine und/oder einen Generator abzubauen, reagierten die Vertreter jener Firma ausweichend, die die Bundesrepublik wegen des Profitausfalls, Pardon: des wirtschaftlichen Schadens verklagen will, den ihnen der erzwungene Stillstand ihrer gebrechlichen Meiler bringt. Alles in allem wurde klar, dass Vattenfall eher nichts an seiner Kommunikationskultur verbessert hat, die 2007 ans Licht der Öffentlichkeit kam: Damals war der Norden haarscharf an einer nuklearen Katastrophe vorbeigeschrammt. Und es ist bis heute nicht klar, was genau in Krümmel und in Brunsbüttel geschah, als durch die Zwischenfälle dort z.B. Krümmel nur noch 7 Minuten vor der Kernschmelze entfernt war (s. »Der Störfall - Was geschah wirklich in den AKWs von Vattenfall?« (WDR, 19.11.2007)) Das Gutachten, das die damalige zuständige Ministerin Trauernicht daraufhin zur Prüfung der Zuverlässigkeit der Betreiberin Vattenfall in Auftrag gegeben hat, steht kurz vor der Fertigstellung, wie Dr. Cloosters informierte.

Wieder einmal durften Vertreter von Vattenfall zur Kenntnis nehmen, dass sie nicht nur dort einen Wurm am Arsch haben, sondern dass ihnen auch hier und da immer mehr Menschen immer intensiver auf die Finger schauen. Bleibt zu hoffen, dass auch dort alsbald die richtigen Schritte eingeleitet werden.

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Die Stadt Geesthacht hat die Vortragspräsentationen auf ihrer Website als PDF und als barrierefreie Hörversionen:
http://www.geesthacht.de

Hintergründe:
Geschichte und technische Daten zum KKK bei Wikipedia

Störfallhistorie AKW Krümmel

Bundesamt für Strahlenschutz (BfS): Information zum Zwischenendlager in Krümmel [PDF]

BfS (2003): Genehmigung zur Aufbewahrung von Kernbrennstoffen im Standort-Zwischenlager in Krümmel der Kernkraftwerk Krümmel GmbH & Co. oHG [PDF]

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