Ist Bergedorf ausländerfeindlich?

Karl Glatt: Flüchtlinge. Öl auf Leinwand
Karl Glatt, Flüchtlinge (1942)
Quelle wikimedia
Mehr Flüchtlinge als erwartet sind dieses Jahr schon nach Deutschland und auch nach Hamburg [PDF] gekommen. Die zuständige Hamburger Behörde BASFI hat gestern den Fraktionsvorsitzenden aller sieben Hamburger Bezirke ihren Plan zur Unterbringung dieser Menschen vorgestellt, die aus ihrer Heimat fliehen mussten und hier nun auf der Straße stehen.

Demnach plant die BASFI in zwei Phasen: In der ersten Phase sollen bis März nächsten Jahres 1300 neue Plätze in fünf der Hamburger Bezirke eingerichtet werden, plus x Plätze in Wandsbek und Harburg, in denen die Platzzahl noch offen ist. 400 Plätze von diesem Kontingent sollen im Bezirk Bergedorf geschaffen werden: 100 in der leerstehenden Schule im Moorfleeter Sandwisch 66 und 300 in dem vorschnell abgerissenen und wieder zu errichtenden Containerdorf an der Adresse Rothenhauschaussee 100. In der zweiten Phase sollen dann weitere Unterkünfte entstehen, und zwar wieder in allen Hamburger Bezirken mit Ausnahme von Bergedorf, das sich per Ende März 2013 mit rund 1600 von hamburgweit insgesamt 9500 Plätzen, also knapp 13 Prozent, leicht unterdurchschnittlich an der Aufnahme von Heimatlosen beteiligt. Und schon regt sich erster Widerstand gegen »noch mehr Asylanten etc.« in Bergedorf.

Die politische und soziale Brisanz dieser Behördenanordnung ist unmittelbar nach deren Verkündung klar geworden. Aufreger in Bergedorf ist offenbar vor allem die Planung in der Rothenhauschaussee. Von Stimmungsmache gegen die Zuwanderer in der lokalen Tageszeitung (von »... Unterbringung von teils überaus trinkfreudigen Osteuropäern sorgte besonders in den letzten Jahren für Anwohnerproteste.« ist da als erstes die Rede) über die aus Sicht des Steuerzahlers berechtigte Kritik, dass das Flüchtlingsdorf, das an diesem Ort seit Mitte der 1980er-Jahre gewesen ist, vor wenigen Jahren erst komplett rückgebaut wurde, bis hin zu dem Hinweis auf das laufende B-Plan-Verfahren »Bergedorf 108/Altengamme 11« reicht das Spektrum des Widerstandes. Hier mischen sich (latente oder offene) Feindseligkeit gegenüber Fremden mit einer Fokussierung auf Regeln (»Aber da läuft doch ein B-Plan-Verfahren!«) statt auf humane Hilfeleistung.

Doch auch differenziertere Stellungnahmen sind zu hören: So fordert bspw. Stephan Jersch, Fraktionsvorsitzender der Bergedorfer Die Linke., eine langfristigere Planung und eine eindeutig stärkere Ausrichtung des Hamburger Wohnungsbauprogramms auf öffentlich geforderten Wohnraum - auch zur Versorgung von Heimat- und Obdachlosen.

Sven Noetzel, Fraktionsvorsitzender der CDU in Bergedorf, erklärt gemeinsam mit den anderen sechs Vorsitzenden der CDU-Bezirksfraktionen: »Den CDU-Bezirksfraktionen ist bewusst, dass durch die steigenden Zuwanderungszahlen erhebliche Probleme der Unterbringung auf die Bezirke zukommen. Dieser Verantwortung stellen wir uns und werden unseren Teil zu einer sozialverträglichen Lösung beitragen. Daher werden wir genau darauf achten, dass Standortfragen unter größtmöglicher Beteiligung der Bezirksversammlungen und Öffentlichkeit getroffen werden. Von den gesetzlich geregelten Beteiligungsverfahren darf in keinem Fall abgewichen werden. Dazu gehört für uns auch, dass die Anwohner möglichst früh über geplante Standorte oder Erweiterungen informiert und in die Diskussion einbezogen werden. Nur wenn das Meinungsbild vor Ort nachvollziehbar mit in die Beratungen und Entscheidungen einbezogen wurde, werden wir die nötige Akzeptanz erreichen können.«

Das erwähnte Beteiligungsverfahren ist in §28 des Hamburger Bezirksverwaltungsgesetz festgelegt. Es beteiligt die Bezirksversammlungen am Beschluss der Behörde und läuft in Bergedorf bis mindestens 27.12.2012.

Abschiebung von Flüchtlingen aus dem Auffanglager Nostorf-Horst, 19.11.2012
Abschiebung von Flüchtlingen aus dem Auffanglager Nostorf-Horst, 19.11.2012 | Quelle: Dominik Brueck auf hh-mittendrin
Die Menschen, die lt. BASFI zurzeit hauptsächlich aus Afghanistan, dem Iran, Serbien und Mazedonien zu uns fliehen, müssen in sog. Erstaufnahmelagern auf halbwegs menschenwürdige Unterkünfte warten.

Andere Menschen, ebenfalls aus Serbien, aber auch aus anderen Ländern der Balkanregion, werden massenhaft und überwiegend unbeachtet von der Öffentlichkeit in ihre Herkunfts- oder Drittländer abgeschoben, wo sie der Winter, Diskriminierung, Folter und Tod erwarten. So geschehen erst wieder vor wenigen Tagen, im Morgennebel des 19. November 2012 aus dem Abschiebelager Nostorf-Horst.

Siehe auch:
Bündnis 90/Die Grünen: Mehr Plätze für Flüchtlinge und Obdachlose. Pläne gehen nicht weit genug

Die Linke.: Platz für Flüchtlinge darf nicht durch Abschiebungen geschaffen werden!

Flüchtlingsrat Hamburg

Lesenswert zur Situation in Hinz&Kunzt: 1000 zusätzliche Plätze. Neue Unterkünfte für Flüchtlinge und Wohnungslose

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