Versöhnungskonzert: Großartige Aufführung am Ort des Gedenkens

Versöhnungskonzert im Klinkerwerk des ehem. KZ Neuengamme, 18. Juni 2011Stehende Ovationen für das Orchester der «Koszaliner Philharmonie» und den Projektchor der «Bergedorfer Musiktage» zusammen mit dem «Hamburger Oratorienchor»: Unter der Leitung von Doris Vetter brachten sie im Rahmen der Bergedorfer Musiktage Schuberts «Unvollendete» und Beethovens «Neunte» im Klinkerwerk der KZ-Gedenkstätte Neuengamme in einer so herausragenden Weise, dass ihnen die fast 1000 Zuhörer mit minutenlangen stehenden Ovationen dankten.

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Zum Auftakt hatte Dr. Detlef Garbe, Direktor der KZ-Gedenkstätte Neuengamme, die Gäste begrüßt: Die Vizepräsidentin der Hamburgischen Bürgerschaft, Frau Dr. Eva Gümbel, den Herrn Staatsrat und Ex-Bezirksamtleiter von Bergedorf, Dr. Christoph Krupp, die Konsuln Herrn Generalkonsul Andrzej Osiak aus Polen und Herrn Norbert Deiters, Honorarkonsul Island, die weiteren anwesenden Angehörigen der Hamburger und Bergedorfer Politik, Verwaltung und der heimischen Wirtschaftsunternehmen, Herrn Carsten Buhck, Gründer und Ehrenvorsitzender der Buhck-Stiftung, sowie Herrn Dr. Logmani, den Gründer und Vorsitzenden des Vereins «Bergedorfer Musiktage e.V.», auf dessen Engagement das Konzert überhaupt erst hatte stattfinden können.

KZ-Gedenkstätte Neuengamme, Ostflügel KlinkerwerkDie Gedenkstätte, sagte Garbe, sei ein Erinnerungs- und Lernort, deshalb auch ein Ort der Kultur. Er verwies auf die seit Jahren zahlreich stattfindenden kulturellen Veranstaltungen und das Veranstaltungsprogramm der Gedenkstätte. Schon viele Konzerte zur Erinnerung an die Opfer von Gewalt haben hier stattgefunden. So sei es auch kein Widerspruch, die «Ode an die Freude», diesen «erhabenen Lobpreis auf das Leben», an einem Ort wie diesem zu zelebrieren. An diesem Ort haben Gefangene für Hitlers megalomane Pläne für das steinerne Hamburg Ziegel gebrannt und viele von ihnen dabei ihr Leben verloren.
Die «Ode an die Freude», vom sprachgewaltigen Schiller in Worte und vom tongewaltigen Beethoven in Klänge gefasst, seit 1985 die Hymne Europas, passe sogar sehr gut an diesen Ort, der bis 1945 Ort der Gefangenschaft war, erklärte Garbe den scheinbaren Widerspruch. Denn sie symbolisiert Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit. Sie transportiert den Geist der Aufklärung, der Befreiung und der Solidarität. Nicht ohne an Leonard Bernstein zu erinnern, der 1989 bei seiner legendären Aufführung von Beethovens 9. Sinfonie im Berlin unmittelbar nach dem Mauerfall gleichermaßen von der «Ode an die Freiheit» sprach, übergab Garbe an den Veranstalter, Dr. Farhang Logmani.

Für ihn sei ein Traum in Erfüllung gegangen, erzählte Logmani. Ein polnisches Orchester, Beethovens «Neunte», dieser Ort – welch treffenderes Symbol für Versöhnung in Europa könne es geben. «Den Groll vergessen, dem Feind verzeihen», gerade an diesem Ort könne das eine enorme Bedeutungskraft entfalten. Der Musikliebhaber und Inspirator der Bergedorfer Musiktage wünscht sich, dass dieses Konzert das friedliche Miteinander der Religionen, der Kulturen, der Menschen inspirieren möge.

Notenständer und NotenUnd dann begann die Musik zu spielen. Die ersten Töne von Franz Schuberts 7. Sinfonie in h-Moll, bekannt als die «Unvollendete», tiefdunkle Basstöne, nahmen augenblicklich Fühlung mit dieser merkwürdigen Halle mit bemerkenswert guter Akustik auf. Das Düstere in der Musik, vereint mit dem Grau des riesigen Giebels im Hintergrund, dessen leere Fensterhöhlen notdürftig mit Brettern vernagelt noch an das Elend erinnern, das hier vor 1945 geherrscht hat. Das Dach, nur einfach mit Ziegeln gedeckt, nur Schutz vor dem Regen bietend, aber nicht vor dem Wind und den Geräuschen von außerhalb. So zog ein beständiger Luftzug durch die Halle und so untermalte das helle, harte Rauschen der Pappeln draußen die leisen Stellen in der Musik unüberhörbar.
Kurz vor Ende dieses ersten musikalischen Hochgenusses, exakt beim letzten Pianissimo, mischte sich das kurze, kräftige Zwitschern eines Rotschwänzchens auf dem Dach zwischen Streicher und Bläser und eine Taube, die die ganze Zeit im Gebälk sitzend der Musik gelauscht hatte, schreckte auf, als das Stück mit donnerndem Applaus endete. Sie flog durchs Dachgebälk und wirbelte ein bisschen Staub auf, Staub, der vielleicht seit über 66 Jahren dort gelegen hatte.

Zwischen Schubert und Beethoven. Die Pause zwischen den beiden Sinfonien nutzten viele zum Gespräch im Innern des Westflügels oder für einen kurzen Besuch der Dauerausstellung im Ostflügel des Neuengammer Klinkerwerks.

Cover Programmheft Versöhnungskonzert, 18. Juni 2011Nach der Pause, vor der Aufführung der grandiosen vier Sätze von Ludwig van Beethovens 9. Sinfonie in d-Moll, ergriff Insa Axmann das Wort. Sie hatte als Musikpädagogin ein dreimonatiges Education Project mit einem Zehntklässler-Musikkurs am Bergedorfer Luisen-Gymnasium durchgeführt, das dieses Versöhnungskonzert zum Thema hatte. Musik sei weit mehr als Töne, erläuterte sie das, was sie den Schülern während der Projektarbeit nahegebracht hat. Um das weite Feld «Musik» zu strukturieren und auch unter dem Gesichtspunkt einer möglichen späteren Berufswahl habe man sich auf die Rolle eines Musikdramaturgen konzentriert und davon ausgehend die Materie erarbeitet.

Projektziel war die Erstellung des Programmheftes, welches die Schüler selbst texteten, grafisch gestalteten und schließlich auch dem herbeiströmenden Publikum vor dem Konzert in die Hände drückten. Die 20-seitige Broschüre zeigt beeindruckend, was die Jugendlichen gelernt haben: Wissenswertes über Schubert und Beethoven, Musik- und Zeitgeschichte, Technik, Stimmung und Ausdruck der beiden Sinfonien, das Klinkerwerk als geschichtlicher Ort und als Ort der Aufführung, das Verfassen von Texten und deren Ergänzung durch Bildmaterial und schlussendlich die Produktion eines Programmheftes – all das zeigt das Projektergebnis in beeindruckender Form.

Die Aufführung der «Neunten» war unvergesslicher Genuss. Das Grauen, das auch an diesem Aufführungsort hängt, war für eine Stunde tatsächlich vergessen, so sehr nahm die Energie der Musik das Publikum gefangen.

Doris Vetter, mehrfach preisgekrönte Musikerin, dirigierte die 68 Musiker des Orchesters der Philharmonie Koszalin, die annähernd 100 Sängerinnen und Sänger des Hamburger Oratorienchors gemeinsam mit dem Projektchor der «Bergedorfer Musiktage» und die vier Solisten Eleonora Wen, Sopran aus Taipeh, Kristina Susic, Alt aus Karlsruhe, Paulo Paolillo, Tenor aus São Paulo, und Reinhard Hagen, Bass, scheinbar mühelos zu einer überwältigenden Performanz. Wie ein Uhrwerk in den diffizilen schnellen Parts, geschmeidig in den Übergängen, harmonisch das Einsetzen der Solisten und des Chors: Da saß jede Note, jede Pause, eine sprühende Freude an der Musik war greifbar und riss Musiker wie Publikum mit sich fort.

Am Ende stand minutenlanger Applaus und manch einer wird sich schon eine gedankliche Notiz gemacht haben, auch das nächste Konzert dieser Art an diesem Ort nicht zu versäumen.

Das Versöhnungskonzert wurde ermöglicht durch 3000 Euro aus Bergedorfer Kulturfördermitteln (siehe Bergedorfer Zeitung vom 19. Jan. 2011 sowie Sponsoring durch die Körber-Stiftung, das Citycenter Bergedorf und die Buhck-Stiftung.

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