Airbus statt Bus für Altengamme

Ehemalige Bushaltestelle »Borghorst«, Anfang September 2016
Ehemalige Bushaltestelle »Borghorst«: Wer hier hin oder von hier weg will, muss weit laufen.
Weil Hamburgs damalige Regierung sich vor rund 20 Jahren um die Airbus-Produktion riss und dafür unwiederbringlich wertvolle Natur opferte, haben am anderen Ende der Stadt nun hunderte Anwohner ihre Bus-Anbindung verloren. Der Ausgleichsmaßnahme im Naturschutzgebiet »Borghorst« für die Teilverfüllung des Mühlenberger Lochs, die für die Errichtung der Airbus-Produktion »nötig« war, fiel die gleichnamige Bushaltestelle zum Opfer. Das aber wollen die Anwohner, die auf den Bus angewiesen sind, nicht ohne Widerstand hinnehmen. Jetzt werden Unterschriften für die Wieder-Inbetriebnahme der Bushaltestelle gesammelt.
Fabian Lorenz, betroffener Anwohner, hatte als erster die Trommel geschlagen: »Es wurde uns damals von der HVV und der ReGe Hamburg Projekt-Realisierungsgesellschaft mbH vor dem Beginn des Projektes Borghorster Elbweisen bestätigt, dass die Haltestelle Borghorst bestehen bleibt und weiterhin normal angefahren wird, sprich: die Linie 120 eine Schleife fährt. Nun fährt die Linie 120 aber die Haltestelle Borghorst nicht mehr an. Das kann nicht sein, dass auch gerade viele ältere Bewohner, nun bis zur Haltestelle Zeltplatz Altengamme kilometerweit gehen müssen.«

In der Septembersitzung des Regionalausschusses stand das Thema mit den abstrakten Worten »Maßnahmen ÖPNV - Änderungen in der Linienführung« auf der Tagesordnung. Von der Verwaltung wurden die Abgeordneten dabei lediglich mit den »Genehmigungsanträgen der VHH betreffend Änderungen im Verlauf der Buslinien 120 und 439« informiert und zur Kenntnisnahme aufgefordert. Nachdem Fabian Lorenz die Lokalpolitiker über die Auswirkungen der inzwischen offensichtlich vollzogenen Streckenänderung ins Bild gesetzt hatte, beschloss der Ausschuss umgehend, Vertreter des Busunternehmens (VHH) und der Verkehrsbehörde (Genehmigungsbehörde; BWVI) in die Oktober- oder Novembersitzung einzuladen und zu befragen.

Doch weder BWVI noch VHH hatten ausreichend Kapazität, sich dieses ländlichen Problems im fernen Osten des Hamburger Staatsgebietes anzunehmen. Die BWVI ließ eine Stellungnahme übermitteln, in der sie erklärte: »Unter Abwägung der vorgenannten Gesamtumstände (längere Fahrwege, fahrplantechnische Verwerfungen, geringes Fahrgastaufkommen, Zahl der negativ betroffenen Fahrgäste einer Schleifenfahrt und grundsätzlich vorhandene Alternativrouten) resultiert die Entscheidung, die Haltestelle Borghorst mit den Buslinien 120 und 439 nicht mehr anzufahren.«

Mit ihrer Unterschriftensammlung rufen die betroffenen Anwohnerinnen und Anwohner in Altengamme und im benachbarten Vossmoor die zuständige Verwaltung dazu auf, ihre Anbindung an den öffentlichen Personennahverkehr wiederherzustellen und Bushaltestelle Borghorst wieder in Betrieb zu nehmen.

Wie kam es überhaupt zur Verlegung der Haltestelle Borghorst?

Ihren eigentlichen Beginn nahm diese Geschichte, als am 8. Mai 2000 die Zerstörung des einzigartigen Naturraums »Mühlenberger Loch« per Planfeststellungsbeschluss besiegelt wurde. Dieser Beschluss, den die damalige Landesregierung - übrigens mit massiver Unterstützung von Bundeskanzler Schröder, EU-Ratspräsident Prodi und noch einigen mehr - gegen weit über 1000 Einwendungen herbeiführen ließ, führte über 12 Jahre später zur Planfeststellung der »Kohärenzmaßnahme Borghorster Elbwiesen«. Hier sollte mit der Überbauung des bereits existierenden Naturschutzgebietes durch ein anderes Naturschutzgebiet der Verlust von Natur am »MüLo« ausgeglichen, der Löffelente und dem Schierlingswasserfenchel eine neue Heimat geschaffen werden.

Im Zuge der Umbauarbeiten wurde auch die Kreisstraße verlegt, nämlich vom Hauptdeich auf die neu geschaffene Straße, die über den Schleusenleitdamm führt. Die alte Straße, die der Bus von und nach Geesthacht bis dahin genommen hatte und die mitten durchs Naturschutzgebiet führte - der Horster Damm -, ist mittlerweile entfernt worden. Der Bus müsste seit Ende August eine Schleife von etwa zwei Minuten Dauer fahren, um die Haltestelle Borghorst weiterhin zu bedienen, der Betrieb der Buslinien 120 und 439 wäre also vielleicht ein kleines bisschen kostenintensiver als die jetzige Sparvariante.

Diese Entwicklung hatte sich bereits 2012 abgezeichnet, als der Busunternehmer genau diese Folge im Planfeststellungsverfahren zu Protokoll gab. Die Planfeststellungsbehörde hatte diese marginalen, negativen Folgen anerkannt, sie aber für »hinzunehmen« und die weitere Bedienung der Haltestelle allerdings für »zumutbar« erklärt.

Trotzdem beantragte das Busunternehmen HVV am 11. Juli 2016 die »Änderung der Genehmigung des Linienverkehrs nach § 43 Nr. 2 (Entbindung von der Verpflichtung (nach § 27 Absatz 1 PBefG))« bei der zuständigen Verkehrsbehörde - für die Linie 120 und für die Linie 439.

Das Bezirksamt Bergedorf sei bereits am 12. Juli 2016 »über die Aufhebung der Haltestelle Borghorst informiert und angehört« worden, informierte die Verkehrsbehörde auf Nachfrage der Lokalpolitik im November 2016. Das Bezirksamt habe keine Stellungnahme abgegeben, so die Verkehrsbehörde weiter.

Offenkundig hatte das Bezirksamt Bergedorf, in dessen Verwaltungseinheit sich der Stadtteil Altengamme befindet, kein Bedürftnis, der beantragten Ausdünnung des öffentlichen Personennahverkehrs an seiner südöstlichsten Grenze entgegenzutreten. Auf Nachfrage begründete die Genehmigungsbehörde ihre Entscheidung, den Entbindungsantrag zu genehmigen, mit exakt denselben Argumenten wie das antragstellende Busunternehmen. Auf weitere Nachfrage rechtfertigte sie die Verlegung erneut. Im Beschluss der Planfeststellungsbehörde über die Zumutbarkeit der weiteren Bedienung der Haltestelle Borghorst sah sie keinen ausreichenden Grund, die Verlegungsanträge nicht zu genehmigen.

So kam es, dass die Haltestelle Borghorst in Richtung Altengammer Kreisel seit Ende August/Anfang September über Nacht »verlegt« wurde und die Menschen, die sie bis dahin benutzt haben, jetzt zusehen müssen, wie sie fort bzw. nach Hause kommen. Der Airbus, dessentwegen die Verschlechterung überhaupt erst eingetreten ist, nützt ihnen dabei genauso wenig wie der 120er/439er-Bus, der seitdem nicht mehr an der Haltestelle Borghorst minutenlang wartet, damit ihn der Fahrplan einholt, sondern an der Haltestelle »Zeltplatz Altengamme«.

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