Mit dem Wind ist zu rechnen

Windpark Danna II
»Die enge Verzahnung zwischen der Entstehung von Neuem, dem Weiterbestehen und Verschwinden von Altem, dabei lokal differierend, stellt ein wesentliches Charakteristikum für eine historische Kulturlandschaft dar.« (Becker 1998: 51)«
Foto: Abendstimmung im östlichen Fläming: Der Windpark Danna II.
Dennis Gladiator wollte es wissen und hat noch einmal eine Anfrage zum Repowering im Bezirk Bergedorf an den Senat gerichtet. Die Senatsantwort [DOC] beantwortet die gestellten Fragen unvollständig, aber ohne Interpretationsspielraum. Dennoch wird sie missinterpretiert, vom Fragesteller selbst, aber auch von der örtlichen Tageszeitung bz, von Irreführung ist gar die Rede. Offenkundig kann oder will man selbst weder richtig lesen noch richtig rechnen. Da wird von Mauern gesprochen, weil der Senat zugibt, sich nicht in derselben Intensität wie die Bergedorfer selbst mit dieser Bergedorfer Angelegenheit befasst zu haben, und eine Information nicht gibt, weil er sie nicht hat. Da wird von Ausweichen gesprochen, weil sich der Senat auch nicht darauf einlässt, bestehenden Regularien bzgl. Lärm zu widersprechen. Und damit es auch jeder merken solle, wie das Volk hinters Licht geführt wird, werden Planern Worte in den Mund gelegt, die nicht ausgesprochen wurden, und aus der Feststellung der überwiegenden generellen Unterstützung des Ausbaus der Windenergie wird mir nichts, dir nichts Professor Beba die Behauptung unterstellt, die Bergedorfer seien in der Überzahl für die Errichtung von 180-m-Windrädern. So setzt sich die Tradition der Unsachlichkeit fort, was wenige Tage vor dem Termin für den Bergedorfer Bürgerentscheid ein gewisses G'schmäckle hat.

Ob mit Propaganda und Fehlinformation das Ziel erreicht wird, den Bürgerentscheid zugunsten der von den Konservativen geforderten Höhenbegrenzung auf 100 m Gesamthöhe und auf Mindestabstände von 1000 m zu Wohngebäuden zu beeinflussen, oder ob sich der statistische Trend aus der HAW-Akzeptanzstudie auf die Gesamtbevölkerung Bergedorfs übertragen lässt, wird sich nach dem 11. Juli 2013 gezeigt haben. Dann ist die Abstimmungsfrist beim Bürgerentscheid gelaufen und die Stimmen sind ausgezählt.



Drei Beispiele für Unsachlichkeit und Irreführung

Rechenkünste

Frage Gladiator:
"Ist es richtig, dass mit einer Ausweisung von vier Flächen und dem Bau von Windenergieanlagen mit einer Höhe von 150 bis 180 m der Strombedarf aller Haushalte im Bezirk durch Windenergie gedeckt werden könnte?"

Antwort Senat:
"Ausgehend von künftigen Anlagendimensionierungen zwischen zwei und drei Megawatt je Windkraftanlage (WEA) und von 2.250 in Hamburg erreichbaren Volllaststunden pro Jahr ergeben sich 4.500 bis 6.750 MWh Strom im Jahr je Anlage. Bei Annahme von maximal 28 Windenergieanlagen im Bezirk Bergedorf ergibt sich daraus theoretisch eine Stromerzeugung von 126 bis 189 GWh im Jahr. Der Stromverbrauch aller Haushalte im Bezirk lässt sich nicht ermitteln; insgesamt wurden jedoch im Jahr 2011 laut Hamburg Stromnetz GmbH 427 Gigawattstunden Strom im Bezirk Bergedorf verbraucht. Rein rechnerisch könnte die Windenergie, je nach Repowering und Neubau, davon über das ganze Jahr gemittelt 29,5 bis 44,3 % decken."

Interpretation der Konservativen:
"Die SPD behauptet, der komplette Strombedarf Bergedorfs kann nach dem Repowering durch Windenergie erzeugt werden. Der Senat begründet sehr ausführlich, dass das nicht stimmt und es sich somit um eine irreführende falsche Tatsachenbehauptung handelt."

Wo liegt der Denkfehler?
Gefragt wurde nach dem Jahresverbrauch aller Haushalte, geantwortet wurde aber mit dem Jahresverbrauch des Bezirks. Der Menge der Stromabnehmer im Bezirk besteht bekanntlich nicht nur aus Haushalten, sondern es gibt auch Betriebe - Landwirtschaft, Handwerk, Industrie....
Geht man von 121500 Einwohnern aus, die in Bergedorfer Haushalten leben, und legt einen jährlichen Prokopfverbrauch von 1000 bis 1500 Kilowattstunden (kWh) zu Grunde, dann errechnet sich ein jährlicher Gesamtstrombedarf von (gerundet) 122 bis 181 Gigawattstunden (GWh) für Bergedorfs Haushalte. Der theoretische Ertrag der geplanten neuen oder repowerten Anlagen beträgt 126 bis 189 GWh. Die Aussage der SPD, dass das Repowering ausreicht, um alle Bergedorfer Haushalte mit Strom zu versorgen, ist damit nicht widerlegt.


Lärmqualitäten

Frage Gladiator:
"Gibt es hinsichtlich der Lärmemission einen Unterschied zwischen Verkehrslärm und Industrielärm?
Wenn ja, wie definiert sich dieser und ist ein direkter Vergleich zwischen den beiden Lärmarten zulässig respektive fachlich richtig?"

Antwort Senat:
"Im allgemeinen unterscheiden sich verkehrliche (hier: Straßenverkehr) und gewerbliche Lärmemissionen hinsichtlich ihrer akustischen Parameter (Pegel-Zeit-Verlauf, Dynamikumfang, Spektrum) und belästigungsauslösenden Einflussfaktoren (z.B. Informationsgehalt der Geräusche, Kontrollierbarkeit und Vorhersehbarkeit, Einschätzung der Wichtigkeit oder Vermeidbarkeit des Geräusches). So differieren unterschiedliche Schallquellen bei gleicher akustischer Intensität in ihren wahrgenommenen Belästigungen und verursachten Lärmwirkungen deutlich. Daher unterliegen verkehrliche und gewerbliche Lärmquellen in Deutschland auch unterschiedlichen Beurteilungsvorschriften mit jeweils zugeordneten Immissionsgrenz- oder Immissionsrichtwerten.

Für den Bereich des Neubaus oder der wesentlichen Änderung von Straßen- oder Schienenwegen gilt die Verkehrslärmschutzverordnung (16. BImSchV). Gewerbliche Lärmquellen (genehmigungs- oder nichtgenehmigungsbedürftige Anlagen, welche den Anforderungen des zweiten Teils des Bundes-Immissionsschutzgesetzes - Errichtung und Betrieb von Anlagen - genügen) werden nach der „Technischen Anleitung zum Schutz gegen Lärm“ (TA Lärm – 6. AVwV zum BImSchG) beurteilt.

Der Beurteilungspegel setzt sich bei bei den Vorschriften aus dem jeweiligen Mittelungspegel und jeweils spezifischen Zuschlägen (bei Straßenverkehrslärm z.B. Zuschläge für die erhöhte Störwirkung von lichtzeichengeregelten Kreuzungen und Einmündungen, bei Gewerbelärm Zuschläge für Ton- und Informationshaltigkeit, Impulshaltigkeit und bei Geräuscheinwirkungen in Tageszeiten mit erhöhter Empfindlichkeit) zusammen. Auch die maßgebenden Beurteilungszeiträume differieren: so beträgt dieser bei Verkehrslärm nach der 16. BImSchV nachts acht Stunden (22.00 bis 06.00 Uhr) und bei Gewerbelärm nach der TA Lärm ist die volle Nachtstunde (innerhalb 22.00 bis 06.00 Uhr) mit dem höchsten Beurteilungspegel maßgebend, zu dem die zu beurteilende Anlage relevant beiträgt.

Somit ist ein direkter Vergleich der Beurteilungspegel von Gewerbe- und Verkehrslärm wegen der unterschiedlichen Beurteilungsvorschriften fachlich nicht möglich."

Hintergrund der Frage ist, dass 1. Windenergieanlagen nach der TA Lärm, also als Emittenten von Gewerbelärm betrachtet werden, und 2., dass die regierende SPD behauptet habe, das Wohnen an einer Schnellstraße sei lauter als an den neuen Windenergieanlagen.

Statt mit der Frage direkt darauf zu reagieren, wäre es vielleicht dienlicher gewesen, die Sinnhaftigkeit der einschlägigen Lärmverordnungen herauszufordern, wie es aktuell die Einwohner von Birkenwerder bei Berlin tun. Sie sind von mehreren geplanten Infrastrukturmaßnahmen betroffen und fordern, die kommenden Lärmquellen zu summieren und insgesamt zu betrachten, unabhängig davon, welche Lärmschutzverordnung im Einzelnen einschlägig ist. (hib, 26.06.2013: Bei Schallschutzmaßnahmen sollen künftig alle Lärmquellen berücksichtigt werden)



Plakat der anti-Repowering-Bürgerinitiativen
Plakat der anti-Repowering-Bürgerinitiativen an einer Deichböschung: Vor allem im Landgebiet wird für eine Höhenbegrenzung und Abstände von mind. 1000 m zur Wohnbebauung geworben.
anti-Repowering-Plakat
Guter Nachbarschaft ist der Windkraft-Streit nicht zuträglich: Herr Buhk, Repowering-Befürworter, ärgert sich über die unsachgemäße Aufhängung des Plakates von Repowering-Gegnern an seiner Grundstücksgrenze.
Sympathieumfrage

Als vor einigen Wochen das Ergebnis der sog. Akzeptanzstudie veröffentlicht und bekannt gemacht wurde, dass 63 % der 543 Befragten den Ausbau der Windenergieernte für wichtig bzw. sehr wichtig halten, war der Aufschrei bei den Konservativen groß. Da man bei Lärm bekanntlich nicht so gut hören kann, haben sie möglicherweise nicht richtig verstanden, was gesagt wurde. Konkret wurde und wird dem Studienleiter, Prof. Beba, von ihnen vorgeworfen, das Studienergebnis dahingehend umzumünzen, dass 63 % der Bergedorfer mit dem Bau der HAW-Windräder mit einer Gesamthöhe von 180 m einverstanden seien.

In der bz wird Beba unter der Überschrift »"Akzeptanz-Studie": Windkraft: Forscher verteidigt geplante 180-Meter-Riesen« zitiert: »Wäre die Höhe der Anlagen abgefragt worden, hätte es der Erläuterung technischer Details sowie der drastischen Ertragsunterschiede bedurft. Konkret wird bei 180 Metern mehr als das Dreifache an Energie erzeugt.« Mit ihrem Artikel vom 3. Juli wiederholt die bz ihre Berichterstattung vom Vortag, mit der die geneigte Leserschaft schon einmal mit dem Trugschluss konfrontiert wurde, dass Beba die Akzeptanzstudie zur konkreten Rechtfertigung seiner geplanten 180-m-Anlagen heranzieht: »Forscher verteidigt geplante 180-Meter-Riesen«. Ein Beleg dafür, dass Beba die Studie als Beweis benutzt, die Mehrheit der Bergedorfer sympathisieren mit den konkret geplanten 180 m hohen Anlagen, lässt sich aus den bz-Artikeln und auch anderswo nicht ableiten. Allerdings deutet die Wortwahl in der Überschrift darauf hin, dass der Redakteur selbst ein Problem mit dem Repowering hat: »Riesen« sind furchterregende Unholde, ein emotional besetztes Wort, das nicht zur gebotenen neutralen Berichterstattung passt.

Dr. Katharina Ceyp-Jeorgakopulos, Pressereferentin und -sprecherin der HAW Hamburg, erklärte auf Nachfrage die Sachlage so: »Technisch ist es nicht möglich mit 100m Anlagen einen auch nur annähernd vergleichbaren Anteil an regenerativ erzeugtem Strom zu erzielen. Eine Frage nach Anlagenhöhen von 100m versus 150m versus 180m hätte jedoch suggeriert, dass eine vergleichbare Klimaschutzleistung mit 100m Anlagen erreicht werden könnte. Wir haben in der Studie die Bereitschaft der Bergedorfer der Energiewende insgesamt zuzustimmen (auch im eigenen Land) untersucht und den Effekt "Not in My Backyard!" so nicht bestätigt gefunden, wie es die Bürgerinitiativen zum Beispiel zunächst vermuten lassen. Mehr sagt die Studie nicht aus. Von der Höhe der Anlage ist in dieser Form nicht die Rede gewesen. So kann eher man von einem positiven Trend in Bergedorf sprechen, den WEA als solche zuzustimmen, was uns in unserer Absicht bestätigt hat dort einen Windpark aufzubauen.«

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Kommentare

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Heiner Gronau am :

Ein paar Ergänzungen noch zu "Mit dem Wind ist zu rechnen".
1. In einer Gesprächsrunde zeigte Prof.Beba+Team, dass schon jetzt Windmessungen in Bergedorf in 50, 100, 150, 200m vorgenommen werden und in die HAW geleitet werden.Weil auf der Grafik für die 4 Höhen gleiche Windverhältnisse erkennbar waren, wurde gefragt, ob wir das richtig deuten. Die Frage wurde nicht beantwortet. Warum nicht? War die Messung eine Ausnahme, ist es immer so? Schon die TÜV- Studie von 2008 erklärt den Raum Bergedorf als ungeeignet für Repowering.Auch die NET weiss das und will das Modell MM100 in die V+M pflanzen, ein Modell, konzipiert für windschwaches Gebiet, und weil kein Investor sich bisher auf dieses Experiment eingelassen hat, gibt es diese Windräder in Europa nicht. Was nun, wenn sich diese 150m hohen Gebilde nachher gar nicht drehen wollen?
2. Der Bergedorfer Torbogen beim Postgebäude hat für die Neubebauung klare Höhengrenzen 50m gesetzt. Die 5 Windräder der HAW werden alles überragen.(Das wird aber erst bemerkt, wenn sie stehen)
3.Die Sternwarte will Weltkulturerbe werden.Wenn dort die 180m Windräder stehen, kann man das vergessen.(Wie bei der Fischtreppe am Serrahn, wird nach dem Bau das Denkmalschutzamt aktiv.)
Aber, Hauptsache, erstmal machen, hinterher kommt das böse Erwachen.
Heiner Gronau
Heiner Gronau - Hamburg Altengamme

Frank am :

"Was nun, wenn sich diese 150m hohen Gebilde nachher gar nicht drehen wollen?"

Der gefährliche und hinterhältige Schlagschatten wäre dann besiegt.


"Die Sternwarte will Weltkulturerbe werden."

Ich halte sauberen Strom aus der Steckdose für viel wichtiger, Sternwarten brauchen übrigens Strom.

Übrigens erzeugen größere moderne Windräder mehr Strom wie die kleinen alten Dinger, ob der Wind da oben nun schneller weht oder nicht, sie sind also ein guter sauberer Beitrag zur Energiewende in unserer Welt.

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