»Das liest doch sowieso keiner«

Treppenhaus im Bergedorfer Schlossturm
Treppenhaus im Bergedorfer Schlossturm
Bergedorf steht eine Neudefinition seiner Museumsarbeit ins Haus. Wenn dem Antrag der SPD-Fraktion in der Bürgerschaft und dem Votum der Bergedorfer Bezirksversammlung entsprochen wird, dann werden das »Museum für Bergedorf und die Vierlande (MBV)« und das »Rieck-Haus (RH)« zum 1.1.2013 aus dem Verbund der Museumstiftung (SHMH) herausgelöst. Und dann wird die Museumsarbeit in Bergedorf grundlegende Änderungen erfahren, strukturell, personell, arbeitsmethodisch und offenbar auch publizistisch. Dafür gibt es diverse Gründe, unter anderem mangelhafte Budgets und eine angestrebte konzeptionelle Neuausrichtung der Öffentlichkeitsarbeit auf massenkompatiblere Präsentationstechniken.

Die Herauslösung wird teurer als die Nicht-Herauslösung. Was Realisten seit jeher rechtschaffen, aber noch ohne Belege spekuliert hatten, liegt seit letzten Dienstag Schwarz auf Weiß vor: An dem Tag war der von der Kulturbehörde verfasste Entwurf »Mitteilung des Senats an die Bürgerschaft: Fortentwicklung der Stiftung Historische Museen Hamburg (SHMH)« *) geleakt und fand ihren ersten öffentlichen Niederschlag einen Tag später in der bz. Aus dem Papier geht hervor, dass Bergedorf nach derzeitigem Stand knapp 200.000 Euro zur Bewältigung der selbstgestellten Aufgabe im Jahr 2013 fehlen werden.

Aber selbst wenn es gelingen sollte, doch noch eine finanziell »auskömmliche« Regelung herbeizuführen, scheint jetzt schon festzustehen, dass die Wissenschaft in der integralen Museumsaufgabe »Vermitteln« zu Gunsten leicht verdaulicher Häppchenkost heruntergeschraubt werden soll. Zum einen verortet das mit der Senatsmitteilung mit-geleakte Feinkonzept des Bezirksamts Bergedorf zwar die Aufgabe des Vermittelns beim Bezirk, sieht aber explizit keinerlei wissenschaftliche Publikationstätigkeit vor. Zum anderen wurden inzwischen schon mehrfach Aussagen gemacht, die darauf hindeuten, dass auf gründliche wissenschaftliche Dokumentationen kein gesteigerter Wert gelegt wird: Gerd Hoffmann, Content-Generator beim Bergedorfer Bürgerverein und erster bezirklicher Mitarbeiter der noch einzurichtenden Kulturabteilung Bergedorf, meinte unlängst laut bz: »Wir brauchen nicht mehr für jede Ausstellung eine große Publikation, wir sollten mehr Augenmerk darauf legen, viele Menschen mitzunehmen und zu begeistern.« Unserer Redaktion gegenüber bestätigte Hoffmann, dass Flyer bzw. Info-Broschüren zu etwa 5 Euro und nicht Ausstellungsbände das Mittel der Wahl seien, wenn es darum geht, den Menschen die Museumsthemen näher zu bringen. Weil nach seiner Erfahrung das Durchschnittspublikum lieber zu knappen Informationen greift. Außerdem seien Ausstellungsbände zu teuer, die könne man produzieren, wenn sich jemand meldet, der das nötige Kleingeld dafür mitbringt. Auch Gerd Lein, Bergedorfer SPD-Abgeordneter und eifriger Kämpfer für die Herauslösung, erteilt umfangreichen Ausstellungsbänden und wissenschaftlichen Publikationen kurz und knackig eine Absage: »Das liest doch sowieso keiner.«

Abgesehen davon, dass mit solchen Ansichten Museumsbesucher zu oberflächlichen Konsumenten degradiert werden, mißachtet diese »Flyer-Mentalität« den Sinn von vertiefter Lektüre, die es dem, hier heimatgeschichtlich Interessierten, erst ermöglicht, den Dingen auf den Grund zu gehen. Die Kernaufgabe gerade auch von Heimatmuseen ist, mit Hilfe der gesammelten, erschlossenen, erforschten und präsentierten Objekte der Gesellschaft die Möglichkeit zu geben, ihre Identität immer wieder zu erarbeiten und anzupassen. Oder, um mit Dr. Matthias Henkel, ICOM Deutschland, zu sprechen [PDF; S. 48-49.]: »Kulturelle Vielfalt und kultureller Reichtum sind ... der Rohstoff, aus dem sich die Gesellschaft immer wie­der neu erfinden muss.« Ob eine angemessene schriftliche Vermittlung nur mit Flyern und Broschüren zu bewerkstelligen ist, muss bezweifelt werden.

Das Schloss als Musterprojekt der Teilhabe im Rahmen bürgerschaftlichen Engagements – so lautet eine der Zwischenüberschriften des Museumkonzepts, das die Kultur-Troika des Bezirksamts vorgelegt hat. Ob das auch bedeutet, dass die schriftliche Außendarstellung des Museums zukünftig in Form von Kurztexten à la Bergedorfer Bürgerverein vorgelegt werden soll, ist noch vage wie so vieles an dem Konzept. Vieles deutet aber darauf hin – Masse statt Klasse.

»Heimat gemeinsam gestalten«, mit diesem Slogan ist Arne Dornquast vor gut einem Jahr als oberster Verwaltungsmann in Bergedorf angetreten. Ein halbes Jahr später stellt er sein erstes Grobkonzept zur Herauslösung des MBV und des RH [PDF] öffentlich vor: Nun tritt zur Heimatliebe »die Hingabe« hinzu. Dass er mit »Hingabe« nicht nur »rückhaltlosen Einsatz« und »große Begeisterung«, sondern auch das Hin(weg)geben ureigenster Museumsansprüche und das Aufgeben der Museumsfunktion als Schnittstelle zwischen akademischer Forschung und gesellschaftlicher Vermittlung des Gewesenen und des Seienden meinen könnte, deutet sein erstes Konzept schon an und die bisherige Entwicklung schreibt diesen Verdacht fort.

Können MBV und RH nach der Herauslösung arbeitsfähige Museen bleiben?

Die bz mutmaßt, dass mit der Vorlage der Zahlen in der Senatsmitteilung »die Herauslösung von MBV (und Rieck-Haus) in letzter Minute doch noch torpediert werden« soll. Die Tatsache, dass MBV und RH in den zukunftsgerichteten Aussagen sowohl im aktuellen Bericht zum Museumscontrolling Drs.: 19/6441 [PDF] als auch der geleakten »Mitteilung des Senats an die Bürgerschaft: Fortentwicklung der Stiftung Historische Museen Hamburg (SHMH)« keine Rolle mehr spielen, wirft ein deutliches Licht auf solche Mutmaßungen.

Nach der nun offenkundigen Unterdeckung von 200.000 Euro für das Haushaltsjahr 2013 hat Bezirksamtsleiter Dornquast jedenfalls zunächst alle verwaltungstechnischen Vorbereitungen der Museumsübernahme eingefroren und will als nächstes Ende des Monats mit Kultursenatorin Kisseler das Gespräch suchen, wenn diese aus dem Urlaub zurück ist. Und er ist nach wie vor zuversichtlich: »Ich schätze, dass wir uns irgendwo in der Mitte treffen.«, sagte er am letzten Donnerstag. Ob die befürchteten Qualitätseinbußen auf der Publikationsseite der fortgeschriebenen Unterfinanzierung und dem Gutdünken selbsternannter Spezialisten zum Opfer fallen wird, bleibt abzuwarten. Eine fruchtbare Debatte über die für ein exzellentes Museum adäquate schriftliche Außendarstellung tut Not in Bergedorf, unmittelbar nach Klärung der generellen Machbarkeit des Projekts.


2.2.5. Zusammenfassung
Nach Prüfung der finanziellen und organisatorischen Voraussetzungen kann die Herauslösung des MBV und des Rieck-Hauses haushaltsneutral durch Übertragung einer anteiligen Zuwendung von der SHMH an das Bezirksamt Bergedorf nur in einem Umfang vorgenommen werden, in dem der Ausgliederungsprozess für die SHMH ergebnisneutral bleibt. Für die Ausgliederung stehen wie oben dargestellt 253 Tsd. EUR anteiliger Zuwendung zur Verfügung.
Für die darüber hinausgehenden Bedarfe in Höhe von 195 Tsd. EUR, die im Bezirksamt nach eigener Rechnung durch Übernahme der Aufgabe inklusive der vom Bezirk gewünschten neuen Ausrichtung anfallen, stehen weder bei der SHMH noch im Einzelplan der Kulturbehörde zusätzliche Mittel zur Verfügung.
Aus dem Entwurf für eine »Mitteilung des Senats an die Bürgerschaft: Fortentwicklung der Stiftung Historische Museen Hamburg (SHMH)« v. 6. Juli 2012


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