Schlachthof Wietze: Der Wahnsinn muss ein Ende haben

Menschenkette, Schlachthof Wietze
Eine massive Menschenkette umzingelt Wietze. Foto: Hartmut Warm
Am vergangenen Samstag haben gut und gerne 7000 Menschen Europas größten Geflügelschlachthof im niedersächsischen Wietze »umzingelt«. Ein Zeichen zu setzen gegen Massentierhaltung und -schlachtung und gegen Gleichgültigkeit und blinden Konsum und gegen den Frevel an Kreatur und Natur, hatten eine Vielzahl von Verbänden und Initiativen aufgerufen. Andrea Madadi von der Initiative Gentechnikfreie Metropolregion war dabei und berichtet:

Die Initiative Gentechnikfreie Metropolregion hat gemeinsam mit dem BUND Pinneberg zwei Busse nach Wietze organisiert. Unsere liebe Kollegin Sybille Mahler, die am 1. August plötzlich verstorben ist, hatte die Organisation angeschoben. In ihrem Sinne hat Hartmut Warm den Weg nach Wietze weitergeführt. Mitgefahren für die INI sind diesmal Annelotte und Wiebke Pusback, Hartmut Warm, Thomas Schönberger, Andrea Madadi. Durch Sybilles Anregung entstand das Vorstellen und Vernetzen der an der Busfahrt teilnehmenden Initiativen und Privatpersonen. Wir danken Sybille herzlich für alles – sie wird unvergessen sein.

Ich sitze neben Heike. Sie gehört keiner Initiative an. Sie unterstützt viele Organisationen, besonders Veganer. Wir stellen uns vor. Andrea, Demeter Gärtnerei Sannmann und ehrenamtlich engagiertes Mitglied der Initiative für eine gentechnikfreie Metropolregion Hamburg. Beide packen wir die schweren Flyer aus unseren Rucksäcken – und überlegen, wann wir sie am besten verteilen. Wir hoffen auf ein großes Publikum für unsere Anliegen – ohne Fleisch aus Massentierhaltung zu leben und sich für eine gentechnikfreie Zukunft einzusetzen.

In beiden Bussen auf dem Weg von Hamburg nach Wietze sitzen 80 Menschen. Gemeinsam wollen wir Europas größten Hühnerschlachthof umzingeln. Aus Protest gegen eine verfehlte Agrarpolitik. Der Schlachthof Wietze ist hierfür zum Symbol geworden für viele Menschen und viele verschiedene Organisationen. Keine Gegensätze mehr – nur noch eine Marschrichtung: Allen Menschen wie Verbrauchern, Politikern, Landwirten und Industriellen ins Gewissen zu reden, um den Wahnsinn zu beenden.

Ist es nicht wahnsinnig, 430 000 Hühnchen pro Tag zu schlachten? Hühnchen, die in extra angelegten Riesenmastställen vorn überkippen, weil ihnen Riesen-Hühnchen-Brüste gezüchtet wurden. Hühnchen, denen die Schnäbel abgeschnitten wurden, damit sie sich nicht gegenseitig blutig hacken. Warum tun sie das eigentlich? Weil sie zu zehntausenden eingepfercht sind in diesen kargen Riesenmast-Ställen ohne Sonnenlicht, ohne Sandscharren, ohne Auslauf, ohne Leben. Für ein schnelles Wachstum werden sie mit gentechnisch verändertem Futter wie Soja aus Brasilien gemästet – für unseren Teller. Eine billige Überschussproduktion, die zum Himmel stinkt. Riesenmastställe produzieren Unmengen von Gülle – Tier-Kot und -Urin. Wohin damit? Ins Grundwasser? Das Billigfleisch, welches nicht auf unserem Teller landet, wird in Schwellenländer wie Afrika exportiert, zerstört dort die traditionellen Märkte und vernichtet die Existenz der Kleinbauern.

Wietze ist ein Symbol dafür, was wir nicht wollen: Tiere quälen und die sogenannten Nutz-Tiere wie Hühner, Puten, Gänse, Rinder, Schweine, Kaninchen nur als Ware betrachten. Das ist eine hochpolitische Angelegenheit, da sind sich alle einig: die Bürgerinitiative der Anwohner, die Tierschützer wie 4Pfoten, die Vegetarier und die Veganer, die Landwirte der AbL, die Umweltorganisationen wie BUND, die Privatpersonen und die NGOs wie Greenpeace. 7000 Menschen mit Plakaten, Kostümen, Musikinstrumenten, Pfeifen und Bannern haben Wietze umzingelt. Friedlich und entschlossen. Auch der Schlachthof zeigte sich friedlich, kein Schlachter, kein Huhn, niemand war vor Ort. Sie hatten einen Tag frei bekommen. Dafür müssten sie tags zuvor länger arbeiten, mehr Hühnchen schlachten, sagt eine informierte Frau aus Celle in die laufenden Kameras der Fernsehteams. Auch die Mitarbeiter sind Opfer, sagt sie, haben schlechte Arbeitsbedingungen, Akkorddruck und wenig Rechte. Dafür werden sie schlecht bezahlt. Das passt.

Wietze schaute uns beim Demonstrieren zu. Wie beim Schützenfestumzug. Einige Kinder winkten aus offenen Fenstern und freuten sich an den bunten Kuh- und Schweinekostümen. Ist denn schon Fasching? Die anderen Wietzer sagen, der Schlachthoff schaffe Arbeitsplätze und bringe reichlich Gelder in die Gemeindekasse. Stimmt! Aber um welchen Preis? Wer macht den Gülle-Dreck weg, wer saniert die von Futtermais ausgelaugten Monokulturböden, wer verkraftet den übermäßigen Pestizid-Einsatz? Wollen wir weitermachen mit dieser industriellen Land- und Tierwirtschaft nur für ein bisschen Geld und schlechte Arbeitsbedingungen, nur damit billiges Fleisch jeden Tag auf unserem Teller landet? Ohne Nachdenken, ohne Mitgefühl, ohne Verantwortung? Oder wollen wir uns Alternativen überlegen, wie wir unser Leben in Zukunft gestalten können, mit fairen Bedingungen für alle Menschen, mit einer sauberen Umwelt, mit gesunden Böden und mit Tieren, die so leben können wie es ihrer Art entspricht. Am Abend auf der Rückfahrt von Wietze nach Hamburg wird mir klar – es wird sich etwas ändern, weil wir losgezogen sind und unsere Meinung gesagt haben. Weil wir uns vernetzt haben. Weil wir ins Gespräch gekommen sind. Weil wir uns kennengelernt haben. Weil wir präsent waren. Wir haben eine Stimme. Jeder.

Hühnchen mit abgekniffenen Schnäbeln in Massenhaltung
Hühnchen mit abgekniffenen Schnäbeln in Massenhaltung warten auf die Erlösung im Tod. (Foto: Compassion Over Killing)




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