Im Schneckentempo: Vierjahresplan für "Bergedorf 99"

28.02.2012 | Das Bezirksamt Bergedorf teilte neue Details zur Wohnraumplanung für einen der kleinsten Mitbewohner im Stadtgebiet mit: Es geht um die Zierliche Tellerschnecke (Anisus vorticulus), die auf dem Gebiet des von Hamburg gewünschten Logistikareals östlich des Curslacker Neuer Deichs und nördlich der A25, kurz: "Bergedorf 99" lebt und dort, je nach Betrachtungswinkel, die wirtschaftliche Entwicklung des Gebietes stört oder Bergedorf vor einem von vielen als unnötig erachteten Logistikpark schützen könnte.

Im Januar 2012 wurde ein hydrogeologisches Gutachten fertiggestellt, auch eine artenschutzfachliche Stellungnahme dazu liegt nun vor. Auf dieser Grundlage plant das Bezirksamt jetzt einen Pilotversuch, einige Tiere dieser unbedingt zu schützenden, vom Aussterben bedrohten Weichtierspezies innerhalb der Vier- und Marschlande umzusiedeln. Wenn dieser Versuch erfolgreich verläuft, dann steht einer Umsiedelung der restlichen Population und der Aufstellung eines Bebauungsplanes voraussichtlich nichts mehr im Wege. Bis dahin werden allerdings Jahre vergehen; Fachleute rechnen mit mindestens drei Jahren, bis erste Ergebnisse vorliegen. Gleichwohl wird auch geprüft, ob eine "friedliche Koexistenz" von Schnecken und Logistikpark möglich ist, denn die Tiere beanspruchen nur rund ein Siebtel der zur Diskussion stehenden Flaeche.

Es folgen hier Hintergrundinformationen des Bezirksamtes Bergedorf zum Bebauungsplanverfahren "Bergedorf 99":

Zierliche Tellerschnecke:
Die Zierliche Tellerschnecke (ZTS) wurde von der "Deutschen Malakozoologischen Gesellschaft" zum Weichtier des Jahres 2011 gewählt. Sie ist eine FFH-Art, Anhang II und IV, sowie eine Rote Liste Art mit der Einstufung 1 (vom Aussterben bedroht). Es ist verboten, Individuen zu töten oder Fortpflanzungsstätten dieser Art zu zerstören (§ 44 Abs. 1 BNatSchG). Bei dem hiesigen Vorkommen handelt es sich nicht nur um die zweitgrößte Population Hamburgs, sondern nach Auskunft des Bundesamts für Naturschutz (BfN) auch um die zweitgrößte Population in der gesamten Atlantischen Region (große Teile von Schleswig-Holstein, Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen sowie Bremen). Der Erhaltungszustand der Art ist gemäß dem letzten Bericht des Bundes an die EU-Kommission als schlecht einzustufen. Eine Zerstörung dieses bedeutsamen Vorkommens würde somit den Zielen der Wiederherstellung eines günstigen Erhaltungszustandes der Art in der atlantischen Region entgegenstehen.

Aktueller Stand "Logistikfläche am Curslacker Neuer Deich":
Ein Aufstellungsbeschluss für das Bebauungsplanverfahren wurde noch nicht gefasst. Zurzeit finden Voruntersuchungen statt. Die Voruntersuchungen werden vom Bezirksamt Bergedorf unter Beteiligung von Gutachtern und Trägern öffentlicher Belange durchgeführt, zudem wurde eine vorgezogene Bürgerbeteiligung durchgeführt. Der Lebensraum der ZTS betrifft nur 1/6 bis 1/7 einer Fläche, die im Hinblick auf ihre Eignung für logistische Nutzungen untersucht wird (ca. 2,8 ha von 18,6 ha). Im Rahmen der Voruntersuchungen werden die Lebensbedingungen der ZTS erforscht und anschließend geprüft, ob der Lebensraum erhalten bleiben muss oder verlagert werden kann. Insbesondere werden die hydrogeologischen Bedingungen und die Einflüsse der logistischen Nutzungen auf den Lebensraum untersucht.

Verbleib der Tellerschnecke am derzeitigen Standort:
Ein hydrogeologisches Gutachten und eine Stellungnahme zu diesem Gutachten aus Sicht des Artenschutzes liegen nun vor. Hierbei ging es um die Frage, ob sich die ZTS und benachbarte Logistiknutzungen miteinander vertragen, oder ob die ZTS verlagert werden muss. Die Ergebnisse werden von den Fachdienststellen ausgewertet, die Erkenntnisse werden zusammengeführt und in einen verwaltungsseitigen Vorschlag für das weitere Vorgehen münden, der in den politischen Gremien erörtert werden soll.

Umsiedlung der Tellerschnecke:
Es ist geplant, einen Umsiedlungsversuch (einer kleinen Teilpopulation) auf Flächen in den Vier- und Marschlanden durchzuführen. Die Voruntersuchungen für diesen Umsiedlungsversuch werden in 2012 abgeschlossen (u. a. bzgl. der Gewässerchemie und der benötigten Vegetation). Ab September 2012 soll die Umsiedlung der Teilpopulation dann testweise erfolgen. Die Beobachtung des Umsiedlungsergebnisses dauert bis in den Herbst 2015 und endet mit einem Abschlussbericht. Wenn die Umsiedlung erfolgreich ist, sollen die übrigen Bestände vor dem Beginn der Erschließung der Logistikfläche umgesiedelt werden.

Zeitverzögerungen?
Ein Bebauungsplanverfahren ist ein Rechtsetzungsprozess. Es dauert immer so lange, wie es erforderlich ist, um eine abgestimmte bzw. abgewogene Planung mit allen Beteiligungsschritten durchzuführen. Eine Bebauungsplanung ist nicht allein eine ingenieursmäßige Leistung, sondern ein gesellschaftlicher Abstimmungsprozess, der zu einer gesetzlichen Norm führt. In diesem Sinne ist ein Bebauungsplan Ergebnis umfangreicher Bestandsaufnahmen, Gutachten und Abstimmungen mit Bürgern, Fachleuten und Politik. Zeitpläne aufzustellen oder von „Verzögerungen“ zu sprechen ist daher nicht sinnvoll. Insbesondere können komplexe fachliche bzw. politische Thematiken erfahrungsgemäß mehrjährige Verfahren erforderlich machen (beispielsweise haben Untersuchungen und Bebauungsplanverfahren für die Ortslage Fünfhausen mehr als 15 Jahre gedauert).

Weiterer Hinweis: Ein Bebauungsplan setzt fest, was baulich zulässig ist, wenn ein Bauvorhaben durchgeführt werden soll. Ein Bebauungsplan setzt also die rechtliche Qualität des Bodens fest und ist somit rechtliche Voraussetzung für Bauvorhaben. Für die Realisierung konkreter Bauvorhaben sind weitere Entwurfsprozesse erforderlich (Hochplanungen).
In diesem Sinne soll auch der Bebauungsplan Bergedorf 99 die rechtliche und sichere Grundlage für private logistische Bauvorhaben schaffen.

Frühester Zeitpunkt der Umsetzung:
Dies wird sich im Laufe des Planverfahrens herausstellen, hängt z.B. davon ab, wann geklärt ist, ob sich die ZTS umsiedeln lässt, private Bauträger Investitionen tätigen oder politische Gremien weiterhin entsprechendes Baurecht schaffen möchten.

Bisherige Zeitplanungen:
Wie auch sonst bei Bebauungsplanverfahren üblich, hat das für das Planverfahren zuständige Bezirksamt kein festes Zieldatum festgelegt, an welchem der Bebauungsplan abgeschlossen sein soll. Das Verfahren dauert so lange, wie benötigt wird, um die verschiedenen Interessen ab- und auszugleichen. Anders als die benachbarten Schleusengärten auf der östlichen Seite des Curslacker Neuen Deichs war und ist diese Fläche nicht als IBA-Referenz-Projekt vorgesehen.

Standort:
Die betroffene Fläche liegt östlich Curslacker Neuer Deich und nördlich der A25.

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