Abstand vom Mindestabstand genommen: Ministerantwort hilft nicht weiter

Repower MM92, FroschperspektiveNoch im April 2011 hatte Bundesumweltminister Röttgen den Abstandsmahnern Hoffnung gemacht: »Ich bin unbedingt für Abstandsflächen. Wer keine Abstandsflächen bei der Windenergie macht, der nimmt der Windenergie die soziale Akzeptanz.« Doch jetzt hat er mit einem Antwortbrief die Hoffnung auf ministeriale Unterstützung einer bundesweit einheitlichen Abstandsregelung von 1500 Metern zerstört.

Die BI-W-O, die seit langem für einen Mindestabstand von anderthalb Kilometern zwischen Windrädern und Wohnbebauung kämpft, hatte beim Hamburger MdB Jürgen Klimke nachgehakt. Klimke hatte daraufhin den Vorschlag, einen bundeseinheitlichen Mindestabstand von 1500 Metern gesetzlich zu verankern, an Röttgen herangetragen. Jetzt hat Röttgen seinen Staatssekretär Jürgen Becker eine Antwort an Klimke und damit an die BI-W-O schicken lassen. Die Hoffnung auf ministeriale Unterstützung einer bundesweit einheitlichen Abstandsregelung von 1500 Metern ist damit gestorben.

In seiner Antwort (PDF) entlässt sich das Bundesumweltministerium zunächst aus der Zuständigkeit. Die sog. Kompetenzordnung der Bundesrepublik lege die Entscheidung über sinnvolle Abstände zwischen Windrädern und Wohnhäusern ganz klar in die Hände von Ländern und Kommunen: »Mit dem Bundes-Immissionsschutzgesetz (BImSchG), dem Gesetz zur Umweltverträglichkeit (UVPG) und dem Baugesetzbuch (BauGB) sind den Genehmigungs- und Planungsbehörden der Bundesländer Steuerungsmöglichkeiten an die Hand gegeben, ausgewogen planerisch tätig zu werden.«

Den Beitrag der Windenergie zum beschleunigten Atomausstieg sieht das Umweltministerium offenkundig als vorrangig an. Der Ausbau der Windenergie »wird allerdings nur dann gelingen, wenn über die bisherigen Eignungs- und Vorranggebiete hinaus zusätzliche Flächen für die Windenergie ausgewiesen werden.«, schreibt Staatssekretär Becker weiter.

Die Befürchtung der betroffenen Anwohner der Windparks in Ochsenwerder, Neuengamme und Altengamme, dass Hamburg die geplanten Repoweringmaßnahmen ohne Rücksicht auf Anwohnergesundheit und Immobilienwerte dichter als verträglich durchsetzt, wird so nicht entkräftet.

Zum Abschluss seines Schreibens bekräftigt Staatsekretär Becker, er habe großes Verständnis für die Sorgen der Bevölkerung. »Gesundheitliche Gefahren können jedoch bereits auf der Grundlage des Immissionsschutzrechtes und der TA Lärm hinreichend ausgeschlossen werden.«

Hinreichend ernstgenommen fühlen sich die, an die diese Antwort letztendlich gerichtet ist, von solchen Ansagen eher nicht. Zum einen sind sie bestens über einschlägige Gesetze und Richtlinien infomiert und benötigen solche Basisinformationen nicht mehr. Zum anderen berücksichtigt die politische Antwort des Bundesumweltministeriums weder die seit Jahren vorgebrachten Zweifel an der Wirksamkeit eben dieser Verordnungen noch entkräftet sie den Vorwurf, dass auf dem Rücken der Bürger in erster Linie wirtschaftliche Interessen verfolgt werden sollen.

Tieffrequenter Schall beispielsweise, der für besonders empfindliche Personen ein messbares Problem darstellt, findet bei den einschlägigen Vorschriften, allen voran die TA Lärm, keine ausreichende Berücksichtigung. Die TA Lärm datiert von 1998 und kann, auch wenn gebetsmühlenartig die potenzielle Gefährdung durch Infraschall bzw. tieffrequente Dauerbeschallung verneint wird, gesundheitschädliche Wirkungen von tiefen Tönen nicht zuverlässig ausschließen. Zumindest kann sie das solange nicht, bis ein wissenschaftlich hieb- und stichfester Nachweis erbracht ist, ab wann tiefe Schallfrequenzen auch für die empfindlicheren Mitbürger unbedenklich ist. Und dass dieser Nachweis fehlt, geht aus einer Publikation der Kommission »Methoden und Qualitätssicherung in der Umweltmedizin« aus dem Jahre 2007 hervor:

»Probleme mit tieffrequenten Schallimmissionen sind bekannt geworden im Zusammenhang mit dezentralen Heizkraftwerken [35], Umwälzpumpen (Maschke, 2007 persönliche Mitteilung) sowie im städtischen Bereich mit Kühlaggregaten und Schwerlastverkehr. Ein weiteres Beispiel sind die Emissionen von Windkraftanlagen, die teilweise sehr nah an Wohnbereichen aufgestellt sind. Dazu wurden Messungen und Beurteilungen seitens der Bundesländer [39, 40], der Windenergieverbände [41, 42] und Umweltschutzverbände [43] vorgenommen. Sie ergaben einheitlich, dass die festgestellten Infraschallpegel von Windkraftanlagen unterhalb der normalen Wahrnehmungsschwelle liegen.
Da die individuelle Wahrnehmungsschwelle stark um die nominale Wahrnehmungsschwelle streut, muss auch an die besonders sensitiven Personen gedacht werden. Darüber hinaus muss hinsichtlich der gesundheitlichen Bewertung auch der tieffrequente Hörschall beachtet werden. Hierzu liegen bisher keine ausreichenden Daten vor.«


Gesetzlich festgelegte Mindestabstände existieren in keinem der deutschen Bundesländer. Einige haben Abstandsempfehlungen, die aber ständiger Revision unterliegen. Neuerdings werden von Amts wegen geringere Abstände toleriert, weil man festgestellt hat, dass zu große empfohlene Abstände in Frage kommende Stellflächen für Windräder zu stark einschränken würde.

18. August 2011

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